Kolumne

Schöner scheitern

Die „Kultur der zweiten Chance“ ist in aller Munde: Scheitern ist längst nicht mehr mit einem gesellschaftlichen Stigma belegt. Endlich vorbei scheinen jene Zeiten, in denen allein schneller Aufstieg und bruchlose Karrieren Anerkennung fanden. Scheitern und Erfolg gelten längst als zwei Seiten einer Medaille: Wenn nach fehlgegangenen Anläufen ein Vorhaben endlich glückt, ist der Applaus ebenso sicher wie die Anerkennung dafür, aus Fehlern gelernt zu haben. Die Bewältigung von Niederlagen, die Widerstandsfähigkeit in Krisensituationen und die Fähigkeit, all dies letztlich in eine Verbesserung umzumünzen – Scheitern als Chance. Resilienz ist das wissenschaftliche Stichwort für die menschliche Fähigkeit, Krisen zu bewältigen und zur persönlichen Weiterentwicklung zu nutzen.

So vieles kann man scheitern sehen: Lebensentwürfe, Ambitionen, Ehen oder Träume. Ganze Staatsformen scheitern am Weltgeschehen, Visionen am Widerstand. Schiffe scheitern in schwerer See und Menschen an den Hürden, die ihnen im Wege stehen. Seit jeher ist das Konzept des Scheiterns auch eng mit dem Schöpferischen und dem künstlerischen Schaffensprozess verbunden. Samuel Becketts Ausspruch „Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.“ („Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.“) bringt es auf den Punkt – damit überschrieb die Hamburger Kunsthalle im Jahr 2013 ihre Ausstellung „Besser scheitern“. Doch kennt die Kunst überhaupt ein Scheitern? Beschreitet sie nicht vielmehr ständig neue Wege? Im besten Fall schreibt sie Geschichte(n) – auch ganz persönliche: Die erste eigene Ausstellung ist auf die Beine gestellt – dass die Resonanz vielleicht verhalten blieb, wird den Stolz kaum mindern. Die Wettbewerbsteilnahme unter „ferner liefen“ – dafür definieren ungeahnte Ideen den eigenen künstlerischen Weg neu. Oder die vermeintliche Schaffenskrise, die Weichen stellte für den Aufbruch zu anderen Zielen: Das künstlerische Schaffen ist ständig in Bewegung, ist Entwicklung und Chance zugleich. Oder, um es mit Alberto Giacometti zu halten: „Je mehr man scheitert, desto mehr erreicht man.“ Das beruhigt, finden Sie nicht?

Ihre Sabine Burbaum-Machert

Buchtipp:

Erik Kessels Erik Kessels - FAST PEFREKT
FAST PEFREKT
Die Kunst, hemmungslos zu scheitern. Wie aus Fehlern Ideen entstehen.
168 Seiten, 100 farbige Abbildungen
Originalverlag: Phaidon Press Ltd., Originaltitel: Failed it!
Übersetzung: Sofia Blind
Erscheinungstag: 20.04.2016
12,99 € (D)
ISBN 978-3-8321-9913-5

0 Kommentare
Kommentare einblenden

Profile

Mitglied der boesner-Redaktion, verantwortliche Redakteurin von KUNST & material. Studium der Kunstgeschichte, Romanistik und Neugermanistik in Bochum und Siena. Mehrjähriger Forschungsaufenthalt an der Bibliotheca Hertziana in Rom; 1998 Promotion an der Ruhr-Universität Bochum.

Tätigkeiten als wissenschaftliche Mitarbeiterin, Lehrbeauftragte, Übersetzerin, Autorin und Redakteurin.

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren: