Kolumne

Nur Mut!

Wann haben Sie sich das letzte Mal so richtig mutig gefühlt? Vielleicht, als Sie sich ein Herz gefasst und endlich etwas getan haben, wovor sie mit großen Bedenken zögerten? Oder als Sie spontan etwas vollbracht haben, von dem Sie dachten, es ohne einen gewissen Vorlauf nicht zu bewältigen?

Es gibt viele Arten von Mut: Den Mut zum Risiko und den fast tollkühnen Wagemut. Den Mut der Verzweiflung. Auch den Übermut, den Hochmut sogar. Den Mut, anders zu sein. Oder den Mut, sich einer wie auch immer gearteten Wahrheit zu stellen. Sicherlich erinnern Sie sich noch an die Mutproben, die Sie als Kind vollzogen: Hoch auf den Baum klettern (oder verbotenerweise auf ein schwankendes Gerüst). Oder mit dem Fahrrad den Schulbus überholen (um trotzdem zu spät zum Unterricht zu kommen) … Doch erfordert nicht jeder Tag ein wenig Mut, zumal im künstlerischen Schaffen? „Kreativität braucht Mut“ betonte Henri Matisse: Man muss mutig sein, um Neues entstehen zu lassen. Michelangelo Merisi da Caravaggio ist ein Beispiel dafür – der Maler führte zwar ein wildes, auch risikofreudiges Leben (und starb 1610 erst 38-jährig auf der Flucht vor den päpstlichen Häschern). Gleichzeitig war er es, der die Menschen so malte, wie sie sind: Pilger mit schrundigen und schmutzigen Füßen, die vor der Madonna di Loreto niederknien. Einen rat- und wortlosen Evangelisten Matthäus, dem die zarte Hand eines Engels die Feder führen muss. Einen „Marientod“, dessen wächsern anmutende Haut wohl auch zeitgenössische Betrachter frösteln ließ … Caravaggio beschritt mutig neue Wege, verband christliche Sujets mit seinerzeit sehr profan anmutender Darstellung – und es war seine Malerei, die mit virtuoser Lichtführung und dramatischem Helldunkel den Manierismus überwand. Doch was ist das überhaupt, dieser Mut? Unbedingt erfordert er Entschlusskraft – nämlich etwas zu tun (oder eben auch zu verweigern). Und er ist viel mehr als Kühnheit, als Tapferkeit oder nur die Überwindung von Furcht – denn auch die Angst gehört zum Mut dazu. Auf jeden Fall, und das zeigt gerade die Kunst, bedingt nur Mut Bewegung und Fortschritt. Es gehört Mut dazu, ein scheinbar abgeschlossenes Werk doch zu überarbeiten, es zu verwerfen vielleicht, auch zu zerstören, um Neues entstehen zu lassen. Und dazu ist Vertrauen nötig – in die eigenen Fähigkeiten und in die Kraft, solche Wege zu beschreiten. „Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut“, wusste schon Perikles im 5. Jahrhundert v. Chr. Und sehr viel später sagte Meret Oppenheim: „Man muss sich die Freiheit nehmen. Sie wird einem nicht gegeben.“ Das macht Mut, nicht wahr?

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Profile

Mitglied der boesner-Redaktion, verantwortliche Redakteurin von KUNST & material. Studium der Kunstgeschichte, Romanistik und Neugermanistik in Bochum und Siena. Mehrjähriger Forschungsaufenthalt an der Bibliotheca Hertziana in Rom; 1998 Promotion an der Ruhr-Universität Bochum.

Tätigkeiten als wissenschaftliche Mitarbeiterin, Lehrbeauftragte, Übersetzerin, Autorin und Redakteurin.

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