Kolumne

Beständig im Wandel

Mit einer Rückschau auf das ausklingende Jahr ist es so eine Sache: Mitunter macht sich dabei auch für die Zukunft ein Gefühl der Ratlosigkeit breit. Zu vieles scheint auf dem Prüfstand zu stehen – die Taktung ist fast atemlos, und auch zukünftig kann sich als hinfällig erweisen, was vor Kurzem noch unverrückbar feststand. Tendenzen und Trends wechseln in rascher Folge, sodass der Eindruck entsteht, es bleibe kein Stein auf dem anderen: Ob es das Gefüge der Weltordnung ist oder die Entwicklung der Gesellschaft, ob es die eigenen Lebensumstände sind, Transformationen in der Arbeitswelt oder sich wandelnde Wertvorstellungen: Die Grenzen der Komfortzonen verschieben sich, Flexibilität im Denken und Handeln ist mehr als gefragt. „Nichts ist so beständig wie der Wandel“, wusste schon der griechische Philosoph Heraklit (535–475 v. Chr.), und Fluxus-Künstler Ben Vautier (1935–2024) brachte es in weißer Kreide auf schwarzer Tafel (und in seiner ganz eigenen Art) auf den Punkt: „Tout change. Toujours.“ oder: „Alles ändert sich. Immer.“

Umbrüche werfen ihre Schatten voraus, weisen aber gleichzeitig in die Zukunft – bis sie schließlich eine neue Normalität begründen. Wenn man die Kunst betrachtet, ist dies auch im kleineren Rahmen augenfällig: Die Erfindung der Ölmalerei ist das vermutlich bekannteste Beispiel für eine wahre Revolution des Kunstschaffens. Farbwirkung und Tiefe, maltechnische Eigenschaften und handwerkliche Prozesse änderten sich gegenüber der Temperamalerei wesentlich. Die Ölmalerei trat ihren Siegeszug an und gilt bis heute als Königsdisziplin. Die Haltbarkeit der Ölfarbe wiederum begründete neue Errungenschaften wie die Tube für Öl- (und später andere) Farben, ohne die, um mit Pierre-Auguste Renoir zu sprechen, „es weder einen Cézanne noch einen Manet, vielleicht überhaupt keinen Impressionismus“ gegeben hätte. Druckgrafische Techniken machten Kunstwerke erreichbar, erschwinglich und massentauglich, und die Umwälzungen der Moderne brachten eine Neudefinition des Kunstbegriffs: Spätestens mit Marcel Duchamp wurden Alltagsdinge zur Kunst erhoben und mit Andy Warhols Suppendosen hielten sie definitiv Einzug in Museen und Auktionshäuser.

Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen (und sicher fallen Ihnen weitere Beispiele ein), doch schon jetzt zeigt sich: Wandel ist an sich nichts Schlechtes. Nur Entwicklung bringt Fortschritt, und dazu braucht es Durchhaltevermögen, Entschlussfreudigkeit, Gelassenheit und nicht zuletzt Neugierde und Mut. Eine Prise Widerstandskraft und Resilienz schadet überdies keinesfalls: Persönliche Achtsamkeit und Aufmerksamkeit scheinen wirkungsvolle Schlüssel zu sein – ganz bei sich zu bleiben und innerlich standhaft den Stürmen zu trotzen hilft, auch bewegte Zeiten zu meistern. Und auch dabei bietet die Beschäftigung mit der Kunst wirkungsvolle Unterstützung: Wer hat noch nicht im Flow des Schaffensprozesses die Zeit (und Termine) vergessen und dabei ungeahnte innere Freiheit verspürt? Wer ist noch nicht in ein Gemälde versunken, hat sich ihm und seinen Geschichten, seinen Zeichen und Pinselstrichen hingegeben, hat Farbtöne erkundet und Prozesse erforscht? Die Kunst hilft uns, Auszeiten zu nehmen im Wirbel von Gedanken und unübersichtlichem Geschehen. Wie formulierte es der spanische Philosoph und Essayist José Ortega y Gasset so treffend: „Das Kunstwerk ist eine imaginäre Insel, die rings von Wirklichkeit umbrandet ist.“ Möge dies auch im kommenden Jahr beständig sein!

Ein glückliches und gesundes Jahr 2026 wünscht

Ihre Sabine Burbaum-Machert

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