Ausstellung

Was heißt hier eigentlich Original?

Bildhauerischer Schaffensprozess und Atelierbetrieb in der „Firma Arp“

Eine spannende Sache hat sich das Gerhard-Marcks-Haus in Bremen vorgenommen: Das kleine, aber hoch ambitionierte Fachmuseum für Bildhauerei blickt in seinem neuesten Ausstellungsprojekt auf das plastische Werk von Hans Arp (1886–1966). Nun muss natürlich nicht eigens versichert werden, dass der deutsch-französische Künstler zu den wichtigen Figuren der Moderne zählt. War noch in der Zeit zwischen den Kriegen sein Ruhm eher auf Fachkreise beschränkt, so gehört er seit den 1950er-Jahren zu den beliebtesten Exponenten der Moderne überhaupt.

Wolkenschalen und Blumenseufzer

Arps Weg führt ihn im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts vom heimischen Straßburg nach Paris, ins Treibhaus der internationalen Moderne. Kriegsausbruch 1914: Die bürgerliche Vernunft scheint am Ende. In Zürich wird der Künstler vom Dada-Virus infiziert. Nach Arps Überzeugung gehört der althergebrachte Geniebegriff in die Rumpelkammer. Kunstwerke sollen anonym sein, sollen, wie „die Wolken, die Berge, die Meere, die Tiere“ ihren ureigenen Wachstumsprinzipien folgen. Eine folgenreiche Idee, das werden wir noch sehen … Und noch etwas: In der quirligen Szene der Stadt an der Limmat begegnet Arp 1915 der Künstlerkollegin Sophie Taeuber, die er 1921 heiratet. Bis zu ihrem tragischen Unfalltod 1943 arbeitet das Künstlerpaar eng zusammen: Kulminationspunkt ist 1926 die gemeinsam (mit Theo van Doesburg) konzipierte Allover-Gestaltung – Wände, Decken, Licht, Möbel – des Aubette in Straßburg, eines Lichtspiel- und Tanzetablissements mit Gastronomie. Zeitgleich experimentiert Arp, bis dahin eher als Maler und Dichter unterwegs, mit flächig-reliefhaften Arbeiten. In den frühen 1930ern ist offenbar Sophie Taeuber-Arp (die, wie so viele andere Künstlerinnen jener Jahre, erst viel später in ihrem Rang gewürdigt wurde) Impulsgeber bei der Hinwendung Arps zur vollplastischen Gestaltung.

Leitmotiv ist hier der Begriff der „Konkretion“. Gemeint ist mit dieser Ausprägung der Abstraktion, dass eine künstlerische Form sich keineswegs als eine verallgemeinernde (eben abstrahierende) Ableitung der Naturgestalt entwickeln solle. Sie müsse vielmehr, ähnlichen Gesetzen folgend, parallel existieren. Die bildhauerische Formfindung wird so zu einem naturanalogen Prozess: mal mineralisch, mal pflanzenartig oder explizit organisch. Besonders diese zweite Spielart ist es, die Arps plastisches Werk dauerhaft prägt. Ambivalent changiert es zwischen leisem Anthropomorphismus und selbstgenügsamer Pflanzlichkeit – und greift gerne auch mal aus ins Kosmische: Träumender Stern. Überhaupt die Titel: Arp unterstützt die assoziative Offenheit seiner Werke gerne mit poetischen Titeln: Seufzer einer Blume, Wolkentier und Wolkenschale sind beziehungsreiche Beispiele, Riesenkern oder Torsofrucht verwischen die Grenzen der einst so klar geschiedenen Naturreiche noch weiter. Das Umwerfen altgewohnter logischer Bezüge von Subjekt und Objekt, geübt seit den Zürcher Dada-Tagen, schlägt da auch mal ganz überraschende Purzelbäume: Mensch von einer Blume betrachtet.

Der Formenkosmos

Mit seiner ganz persönlichen Auffassung von Surrealismus wird Arp (inzwischen wieder in Frankreich) zum Star, mehr noch, zum Inbegriff der neuen Zeit nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieges: 1954 erhält er den Großen Preis der Biennale von Venedig für Bildhauerei, 1957 den Auftrag für ein wandfüllendes Relief im UNESCO-Gebäude in Paris. Er wird zum international gefragten Experten für großformatige Bildhauerei, Stadtväter, Universitätspräsidenten und Direktoren renommierter Museen stehen Schlange an seiner Tür. Genau hier setzt „Die Firma Arp“ im Gerhard-Marcks-Haus an und fragt: Wie läuft seinerzeit der künstlerische Prozess in Arps Atelier ab? Der Künstler, der seine Großformate bevorzugt in Bronze oder Stein plant, arbeitet eigenhändig zunächst in Ton. Diesem ersten Aggregatzustand der plastischen Idee aber folgt umgehend – schließlich ist ungebrannter Ton problematisch in der Handhabung – ein Abguss in Gips. Dafür wird eine (meist mehrteilige) Negativform benötigt. Und, hat man diese erst einmal, lässt sich natürlich leicht ein zweiter, dritter, vierter Abguss anfertigen. Das ist durchaus gängige Praxis, denn dem Bronzegießer für die finale Abformung in Metall ein Unikat anzuvertrauen, ist wenig ratsam. Also verbleibt ein Doppel als eine Art Sicherungskopie im Atelier. Es geht aber noch weiter: Die Gipsabgüsse lassen sich nämlich bestens bearbeiten, durch Abschneiden oder Raspeln, durch Antragen frischen Materials ist der Gips beliebig morphbar – aus einem Abguss wird ein „Original“ – der Prozess lässt sich ins Unendliche fortsetzen. Und hatte Arp selbst nicht etwas gesagt vom quasi naturwüchsigen Weiterleben der bildnerischen Gestalt? Das ist wunderbar – und wird ein Problem. Denn Arp beauftragt für seine Abgüsse und weitere Arbeitsschritte assoziierte Handwerker. Das war einst selbstverständlich gewesen in der Bildhauertradition des 19. Jahrhunderts – in Paris gab es eine etablierte Infrastruktur für genau diese Aufgaben –, aber im Originalitätsstreben und Geniekult der Moderne sorgt das für zunehmende Irritation.

Was ist ein Original? Ist ein Gipsabguss ein Werk oder nur Arbeitsmaterial? Ist er Dokumentation des Sollzustandes oder nur Zwischenschritt, von dem aus sich potenziell unendlich Ableger gewinnen lassen? Wie auch immer, die gut eigenspielte „Firma Arp“ läuft jedenfalls auch nach dem Tode des Künstlers im Jahre 1966 munter weiter, am Ruder die zweite Ehefrau Marguerite Arp-Hagenbach, mit der sich der Künstler in den 50er-Jahren in Locarno niedergelassen hatte. Eine rechtlich (und steuerrechtlich!) höchst unklare Situation entspinnt sich zwischen verschiedenen Erben und Rechteinhabern: einer bis zu ihrem Tod von der Ehefrau geleitete Schweizer Stiftung, einer französischen und schließlich dem in den 60ern gegründeten Arp-Museum Bahnhof Rolandseck. Denn wer ist eigentlich berechtigt, Güsse in Gips – oder Bronze – zu machen und sie zu verbreiten? Kommerzielle Absichten und das Interesse an der kunstgeschichtlichen Positionierung Arps vor dem Horizont der Moderne (wiederum mir Rückwirkungen auf die erzielbaren Preise) machen eine ziemlich verquere Melange. Die Krise kulminiert schließlich in der Beschlagnahmung von Werken durch den französischen Zoll beim Grenzübertritt und millionenschweren Steuernachforderungen.

In einem langjährigen Projekt, für das sich die heutige Stiftung Arp e.V., Berlin/Rolandswerth und das Gerhard-Marcks-Haus zusammengefunden haben, wurde der gesamte Bestand an Gipsen zum ersten Male systematisch erforscht und dokumentiert. Die gewonnenen Erkenntnisse zu Daten (oft liegen zwischen einzelnen Güsse ein und desselben Modells drei Jahrzehnte!) und Provenienz sind verlässliche Grundlage künftiger wissenschaftlicher Forschung zu einem der bedeutendsten Bildhauer der Moderne – heute in der Ausstellung im Bremer Museum ist das (im Zusammenhang noch nie gezeigte) Konvolut von über 300 Gipsplastiken ein verblüffender Anblick: Man kann hier dem Bildhauer (und seinen Mitarbeitern) beim plastischen Denken förmlich zuschauen!

Auf einen Blick

Ausstellung: Die Firma Arp. Formenkosmos und Atelierpraxis

Ort: Gerhard-Marcks-Haus, Am Wall 208, 28195 Bremen, Tel. +49-(0)421-9897520, info@marcks.de

Dauer: bis 29. Januar 2023

Internet: www.marcks.de

Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10.00–18.00 Uhr, Donnerstag 20–21.00 Uhr.

 

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Profile

Das Gerhard-Marcks-Haus in Bremen zählt zu den national und international bekannten Bildhauermuseen. Hier werden Sonderausstellungen zur Geschichte und Gegenwart der Bildhauerei gezeigt, die belegen, dass Skulptur ein lebendiges Medium ist. Gewidmet ist das Haus dem Bildhauer Gerhard Marcks (1889–1981), der zu den großen figürlichen Bildhauern des 20. Jahrhunderts gehört und mit seinem Lebenswerk fast das gesamte Jahrhundert durchmaß. Mitte der 1960er-Jahre entwickelte der Künstler die Idee, sein Werk in einer Stiftung unterzubringen, die 1969 in Bremen gegründet wurde. Zu den Initiatoren gehörte auch Günther Busch, der damalige Direktor der Kunsthalle Bremen. Untergebracht wurde die Stiftung im gleichen Jahr in der ehemaligen Ostertorwache neben der Kunsthalle. Ursprünglich als reines Künstlermuseum konzipiert, steht seit den späten 1980er-Jahren die Erforschung und Präsentation der gesamten Bildhauerkunst des 20. Jahrhunderts im Fokus des Hauses. Bis heute bewahrt die Gerhard-Marcks-Stiftung große Teile des künstlerischen Werks von Gerhard Marcks: Etwa 430 Plastiken, 12.000 Handzeichnungen und über 1.000 Blätter Druckgrafik. Sie werden dem Publikum in wechselnden Ausstellungen zugänglich gemacht.

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