Ausstellung

Zum Licht durchs Dunkle

„Höhlen“ im Bremer Paula-Modersohn-Becker-Haus

Na klar, der eindrücklichste Anblick im ersten Bond-Film „Dr. No“ (1962) ist natürlich die als neue Venus Anadyomene aus dem Meer aufsteigende Ursula Andress. Aber gleich danach kommt sicher die untermeerische Hightech-Höhle des titelgebenden Bösewichts: Sie wird im Finale (als erste, aber keineswegs letzte Basis des jeweiligen Oberschurken in einem Bond-Abenteuer) im grellen Blitz einer gewaltigen Explosion in die Luft gesprengt werden. Dieser Filmausschnitt ist zu sehen in der aktuellen Ausstellung der Bremer Böttcherstraße, genauer gesagt des dortigen Paula-Modersohn-Becker-Hauses.

Mit gutem Grund, ist doch dem Museumsgebäude selbst die Idee der Höhle als zentrale Bauidee eingeschrieben. Der in den 1920er-Jahren errichtete expressionistische Bau ist das architektonische Hauptwerk von Bernard Hoetger (1874–1949), Multimedialist seines Zeichens, auch unterwegs in Bildhauerei, Zeichnung, Gartenentwurf, Urbanistik, Reklame (und allerlei verschwurbelten Philosophien, die ihn bisweilen auch in die Nähe des Völkischen führten). Architektur sollte für ihn beileibe nicht nur neutrale Hülle sein, sondern machtvoller Ausdrucksträger. Seinen 150. Geburtstag nimmt das Haus zum Anlass, dem Denken des Künstlers nachzuspüren. In dessen Zentrum steht die Vorstellung, dass Kunst und Architektur den Menschen auf eine irgendwie höhere Daseinsstufe heben sollen, zur Klarheit – mit einem Wort, vom Dunkel zum Licht!

Bernhard Hoetger, Vestibül des Paula Becker-Modersohn Hauses, vor 1944 Archiv der Böttcherstraße, © Foto: Stickelmann

Bernhard Hoetger, Vestibül des Paula Becker-Modersohn Hauses, vor 1944 Archiv der Böttcherstraße
© Foto: Stickelmann

Entsprechend ist das Vestibül, ganz anders als heutige Museumseingänge, betont dunkel und niedrig. Das spärliche Licht erlaubt gerade, eine kleine Ahnung der bildhauerischen Qualität des reliefierten Mauerwerks zu erhaschen, wenn sich erst das Auge, dann die Füße des Besuchers über eine gewundene Treppe zu den Ausstellungsräumen tasten. Nach oben, wo durch eine transparente Decke das Licht in breiter Bahn strömt. Die durch skulpturale Elemente intensivierte Wirkung des höhlenartigen Eingangs bereitet so vor auf die Begegnung mit der Kunst: für Hoetger, ein wenig pathetisch gesprochen, stets eine Erweckungserfahrung.

Verner Panton, Fantasy Landscape, limited edition 2/8, Design by Verner Panton, www.verner-panton.com © Verner Panton Design AG

Verner Panton, Fantasy Landscape, limited edition 2/8, Design by Verner Panton, www.verner-panton.com
© Verner Panton Design AG

Zwischen Köln und Capri

Überhaupt ist die Höhle ein Ur-Ort menschlicher Geschichte und Kultur: frühen Menschen boten Naturhöhlen willkommenen Schutz und auf ihren Wänden finden sich die ältesten Zeugnisse künstlerischer Betätigung überhaupt: in Lascaux und anderswo. Aber Geborgenheit ist selbst unter den Bedingungen der verschärften Moderne (oder da erst recht) ein höchst erstrebenswertes Gut: Gleich im ersten Raum der Bremer Ausstellung empfängt uns Verner Pantons Fantasy Landscape / Visiona 2, eine supermoderne Höhle im psychedelic overdrive. Das war die Sensation der Kölner Möbelmesse von 1970: eine Allover-Wohnlandschaft, die Fußboden, Wände und Decke, Sitz- und Liegemöbel sowie Ablagen zu einem (Alp-)traum in knalligstem Blau, Rot und Lila verschmolz. Bei so viel Bewusstseinserweiterung war klar, dass diese Behausung der Zukunft auf den Ausblick in die äußere Welt locker verzichten konnte … Das avantgardistische Wohnkonzept (hier als Rekonstruktion, und daher benutzbar!) stimmt uns jedenfalls bestens ein auf die leicht exaltierte Gemütslage, die offenbar dem Höhlenthema adäquat ist.

Ernst Fries, Die Blaue Grotte von Capri, 1826 © Kurpfälzisches Museum Heidelberg, Foto: K. Gattner
Ernst Fries, Die Blaue Grotte von Capri, 1826 © Kurpfälzisches Museum Heidelberg, Foto: K. Gattner
Constantin von Kügelgen, Die Blaue Grotte von Capri, 1833 © Kurpfälzisches Museum Heidelberg, Foto: K. Gattner
Constantin von Kügelgen, Die Blaue Grotte von Capri, 1833 © Kurpfälzisches Museum Heidelberg, Foto: K. Gattner
Ernst Fries, Die Blaue Grotte von Capri, 1826 © Kurpfälzisches Museum Heidelberg, Foto: K. Gattner
Ernst Fries, Die Blaue Grotte von Capri, 1826 © Kurpfälzisches Museum Heidelberg, Foto: K. Gattner
Constantin von Kügelgen, Die Blaue Grotte von Capri, 1833 © Kurpfälzisches Museum Heidelberg, Foto: K. Gattner
Constantin von Kügelgen, Die Blaue Grotte von Capri, 1833 © Kurpfälzisches Museum Heidelberg, Foto: K. Gattner

Wie wären sonst die spitzen Entzückensschreie zu erklären, die, glaubt man den zeitgenössischen Berichten, ab 1826 von den feuchten Felswänden widerhallten bei der (modernen Wieder-) Entdeckung der nachmals so berühmten Blauen Grotte auf Capri? Ein magischer Moment der deutschen Romantik: Der von Novalis präformierte Blick erkannte den Ort des Mysteriums wieder: Die Geheimnisse des Erdinneren wurden enthüllt! Spontan vor Ort entstandene Gemälde des Entdeckers, des Malers Ernst Fries, sowie des ihm folgenden Kollegen Constantin von Kügelgen belegen diese Faszination in der Ausstellung – und machen gleichzeitig unfreiwillig deutlich, wie ungeheuer schwer es war, das quasi immaterielle blaue Licht in der Grotte (eine Reflektion des Himmelsblaus über den hellen Meeresboden ins Dunkle hinein) im notgedrungen physischen Medium von Farbmaterial auf Leinwand wiederzugegeben. Eine andere gedankliche Richtung, wenig später und gleichfalls in Kampanien, bei Franz Catel: Seine Grotte mit betendem Mönch bei Amalfi kehrt gewissermaßen die Blickrichtung um: Aus dem Höhlendunkel geht der Blick ins klare Tageslicht, das die Küstenlinie erstrahlen lässt, während im Vordergrund genrehaft die kniende Gestalt in der grauen Kutte ins Gebet versunken ist.

© Kurpfälzisches Museum Heidelberg, Foto: K. Gattner

Franz Catel, Grotte mit betendem Mönch bei Amalfi, um 1830/1840 Kunstverwaltung des Bundes
© Kurpfälzisches Museum Heidelberg, Foto: K. Gattner

Wo wir schon bei Romantik sind: Da darf natürlich der Franzose Delacroix nicht fehlen, der in der Böttcherstrasse mit einer seiner selteneren religiösen Arbeiten zu sehen ist: Einmal mehr wird die Verwandtschaft des Höhlen-Topos zu den tiefsten Geheimnissen spürbar. Die Beweinung Christi ist, wie bei Catel, aus der Höhleninneren heraus gesehen, dessen Rand das eigentliche Bildgeschehen rahmenartig umfängt. Um Maria mit dem Sohn ist die Gruppe der Trauernden dicht zusammengeschlossen, die emotionale Aufgewühltheit der Szene wird in der malerischen Auffassung der Gebirgslandschaft des Hintergrundes aufgenommen.

Eugène Delacroix, Beweinung Christi, 1857 © Staatliche Kunsthalle Karlsruhe

Eugène Delacroix, Beweinung Christi, 1857
© Staatliche Kunsthalle Karlsruhe

Künstlerische Höhlenforschung heute

Dem Team um Böttcherstraßendirektor Frank Schmidt lag aber auch daran, jenseits des Kunsthistorischen die Relevanz des Themas Höhle auch für heutige Künstler zu zeigen. Da haben wir beispielsweise Dorothy Cross, die sich gleich mit zwei Werken, einer Videoinstallation und einer Bronzeplastik, ins Dunkel begibt: In beiden Fällen geht es um die Beziehung zwischen Natur und Mensch, beide sind im Wachsen und Vergehen der Zeit unterworfen. Ihr gewaltiger bronzener Stalaktit, der da, ein wenig beängstigend, von der Decke des Saals herunterhängt, besteht aus den Abgüssen hunderter menschlicher Hände, die eigentlich im Zeigegestus nach oben weisen und doch mit der Wachsrichtung des Tropfsteines, der Schwerkraft, der Richtung nach unten also, folgen müssen. Die Künstlerliste wäre zu ergänzen mit Wolfgang Hainke, der sich ironisch mit der Blauen Grotte als Geschäftsmodell befasst, der Malerin Mamma Andersson, dem Fotografen Axel Hütte und Per Kirkeby, übrigens ja gelernter Geologe, der in malerischer Reduktion die Höhle für uns Heutige erforscht als Erfahrungsort. Von dieser – und eben auch von jener Welt.

Dorothy Cross, Earth, 2011 © Kerlin Gallery, Foto: Alex Delfanne

Dorothy Cross, Earth, 2011
© Kerlin Gallery, Foto: Alex Delfanne

Aus dem Dunkel ins Licht: Einen letzten Blick auf die Metaphysik der Baukunst erlaubt eine Gruppe von Zeichnungen aus dem frühen 20. Jahrhundert der Architekten Bruno Taut, Hans Scharoun und Wenzel Hablik. Und Heinrich Maria Davringhausen malt explizit eine Hommage an die Grotte in Lourdes. Das metaphorische aufgefasste Gegenspiel von Licht und Schatten ist schließlich auch Ausgangspunkt von Bernhard Hoetgers früher allegorischer Gruppe, 1912 in Florenz entstanden. Sie stellt mit jeweils sieben Majolikafiguren gute und weniger erfreuliche menschliche Eigenschaften in ausdrucksstark überzogenen Gestalten einander gegenüber. Auf der fünfzehnten Position in der Mitte überragt eine weibliche Figur die anderen und symbolisiert die Hoffnung auf den schlussendlichen Sieg des Lichts über die Dunkelheit. Damit haben wir den Übergang zur regulären Ausstellung des Paula-Modersohn-Becker-Hauses erreicht.


Ausstellung
Bis 9. Juni 2024: Faszination Höhle

Ort
Paula Modersohn-Becker Museum
Museen Böttcherstraße Stiftungs GmbH
Böttcherstraße 6, 28195 Bremen
Tel. +49-(0)421-33882-22
info@museen-boettcherstrasse.de
museen-boettcherstrasse.de

Öffnungszeiten
Di bis So, 11.00–18.00 Uhr, montags geschlossen

 

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Profile

Das Paula Modersohn-Becker Museum ist das weltweit erste Museum für eine Malerin. Es präsentiert dauerhaft Meisterwerke seiner Namensgeberin und gilt als Hauptwerk expressionistischer Architektur in Deutschland. Beauftragt wurde das Gebäude vom Kaffee-HAG-Kaufmann und Mäzen Ludwig Roselius (1874–1943) und entworfen und gebaut vom Bildhauer Bernhard Hoetger (1874–1949). Am 2. Juni 1927 wurde das Museum eröffnet und vom Bauherren unter Voranstellung des Mädchennamens der Künstlerin »Paula-Becker-Modersohn-Haus« genannt. Es handelt sich um Bremens erstes Sammlermuseum, in dem Ludwig Roselius seine Kollektion von Hauptwerken Paula Modersohn-Beckers (1876–1907) der Öffentlichkeit zugänglich machte. 1988 erwarb die Sparkasse Bremen große Teile der Gebäude der Böttcherstraße, darunter die der Museen. Der Kernbestand der Sammlung wurde gleichzeitig von der Stadtgemeinde Bremen und der Bundesrepublik Deutschland übernommen und wird bis heute ergänzt durch die reichhaltigen Bestände der Paula Modersohn-Becker-Stiftung. Überdies beherbergt das Museum die umfangreichste Sammlung von Kunst und Kunsthandwerk Bernhard Hoetgers.

[Foto: Felix Clebowski]

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