Ausstellung

Ideal und Natur in schwesterlicher Umarmung

Der große Klassizist Johann Gottfried Schadow in der Alten Nationalgalerie Berlin

Luise und Friederike: Als die beiden jungen Prinzessinnen aus dem Hause Mecklenburg 1793 in den Weihnachtstagen in Berlin mit großer Zeremonie die preußischen Königssöhne Friedrich Wilhelm III und Ludwig heiraten, sorgen sie für Aufsehen. In unruhigen Zeiten ist die preußische Hauptstadt entzückt von Anmut und Grazie der gerade einmal 17 und 15 Jahre jungen Damen. Ihre Schönheit scheint ein Versprechen für bessere Zeiten. Dass die zur Königin gekrönte Luise viel später (1807) noch einmal mit persönlichem Mut eine Rolle spielen sollte mit ihrem Auftreten gegenüber dem siegreichen Napoleon, ahnte da freilich noch keiner … Zurück in die Zeit unmittelbar nach der Hochzeit (im weißen Saal des Stadtschlosses): Angesichts der Hoffnungen, die sich an die jungen Frauen knüpfen, ist es wohl kaum kein Wunder, dass der Hofbildhauer 1795 mit ihrem Porträt beauftragt wird. Eigentlich eine Routinesache, so ein Bildnis aus regierenden Kreisen, sollte man meinen. Was jedoch Johann Gottfried Schadow aus dem Auftrag macht, sorgt bis zum heutigen Tag für Entzücken bei den Besuchern der Berliner Alten Nationalgalerie, wo das Doppelbildnis der Prinzessinnen Luise und Friederike von Preußen, die sogenannte Prinzessinnengruppe, das strahlende Glanzstück der Skulpturensammlung bildet.

Der Vater der Berliner Bildhauerschule

Das lebensgroße Doppelstandbild ist zum Inbegriff des deutschen Klassizismus geworden und steht im Mittelpunkt der derzeitigen, ambitionierten Schau „Johann Gottfried Schadow. Berührende Formen“ in der Alten Nationalgalerie. Es handelt sich hierbei um die erste Retrospektive seit rund 30 Jahren, die dem Begründer der Berliner Bildhauerschule gewidmet ist.

Johann Gottfried Schadow wurde 1764 in Berlin geboren und studierte an der dortigen Kunstakademie. Wie in so zahllosen Künstlerbiografien jener Zeit ist der obligate Aufenthalt in Rom prägende Erfahrung: Von 1785 an studiert Schadow für zwei Jahre antike Kunstwerke. Ebenso wichtig jedoch die Anregung durch den 20 Jahre älteren Alexander Trippel (wenig später Schöpfer der berühmten Goethe-Büste, denn auch der Aufenthalt des Weimarer Dichters fällt ja in diese Zeit) und der vertraute Kontakt zu Antonio Canova, dem europaweit berühmten Großmeister der klassizistischen Bildhauerkunst. Wieder zurück in Berlin, beginnt die Karriere Schadows Fahrt aufzunehmen: Nach Arbeiten u.a. für die einflussreiche königliche Porzellanmanufaktur wird er 1788 zum Hofbildhauer ernannt. Und, für die öffentliche Wahrnehmung sicher noch entscheidender, zum Leiter der Bildhauerarbeiten des Oberhofbauamts. Höhepunkt von Schadows umfangreichem Schaffen im Bereich der Bauplastik ist sicher die 1794 aufgestellte Quadriga auf dem Brandenburger Tor. 1805 wird der Künstler Vizedirektor, 1815 schließlich Direktor der Berliner Akademie, einer der damals bedeutendsten Kunsthochschulen.

Neben der eigenen künstlerischen Arbeit und der Lehrtätigkeit findet Schadow noch Zeit für die Publikation von Handbüchern zur Proportionslehre und (seit 1814) für die Leitung des Berliner Künstlervereins. In der späteren Schaffenszeit jedoch wird der Ruhm Schadows langsam, aber sicher überdeckt durch den Aufstieg seines Schülers Christian Daniel Rauch. Hinzu kommt ein Nachlassen der Sehkraft, das den Künstler hinfort bevorzugt zu grafischen Medien greifen lässt. 1850 stirbt er in Berlin, der Stadt, die er künstlerisch so unübersehbar geprägt hat. Die von Yvette Deseyve kuratierte Ausstellung der Alten Nationalgalerie zeichnet diese bemerkenswerte Laufbahn in 11 Kapiteln nach mit Exponaten aus dem überaus reichhaltigen eigenen Sammlungsbestand sowie zahlreichen internationalen Leihgaben, die anschaulich nachvollziehen lassen, wieso Schadow zu einem auch international so anhaltend ausstrahlenden Künstler werden konnte.

Atelierbetrieb

Die Zeit um 1800 ist in vieler Hinsicht eine „Schwellenzeit“, eine Epoche des Umbruchs in der politischen und künstlerischen und in der kunstsoziologischen Landschaft. Denn einerseits ist Schadow Hofkünstler und insofern (durchaus auch weisungsgebundener) Teil des königlichen Repräsentationsapparats, andererseits ist er ein erfolgreicher bürgerlicher Kunstunternehmer. Seine gut organisierte, hochgradig arbeitsteilige Werkstatt weist bemerkenswerte Produktivität auf. In der Ausstellung der Nationalgalerie lässt sich der Arbeitsprozess nachverfolgen mithilfe zahlreicher zeichnerischer Entwurfsskizzen und plastischer Bozzetti. Das sind kleinformatige und spontan gearbeitete Wachs- oder Tonplastiken, die erste bildhauerische Gedanken, Raumdispositionen etwa, festhalten. Die empfindlichen Bozzetti werden sodann zur besseren Handhabbarkeit in Gips abgeformt. Der gut zu bearbeitende Gips ermöglicht die Visualisierung gegenüber dem Auftraggeber, aber auch die einfache Überprüfung von möglichen Varianten der ursprünglichen Idee.

Es ist ein Glücksfall, dass sich gerade von Schadows berühmtesten Werk, der Prinzessinnengruppe, zahlreiche Vorarbeiten erhalten haben. Geplant ist ursprünglich nur eine Porzellangruppe der beiden Schwestern, bevor sich das Projekt anspruchsvoll erweitert. Zur Vorbereitung modelliert Schadow bei Modellsitzungen im Kronprinzenpalais zwei Porträts in Ton. Sein Vorgehen hierbei ist erstaunlich, lieh er sich doch Kleidungsstücke der jungen Damen, um bei der Nacharbeit im Atelier größtmögliche Naturnähe erreichen zu können. Die beiden Tonköpfe werden, wiederum in Gips abgegossen, eingearbeitet in das inzwischen separat erstellte lebensgroße Gipsmodell der Gesamtgruppe. Bei einer ersten öffentlichen Präsentation in der Akademie der Künste begeisterte die anmutige Haltung der beiden Prinzessinnen in der so lebenswahren wie gleichzeitig idealisierten Gruppe. Stirnrunzeln an höchster Stelle allerdings ruft das von der Älteren gehaltene Blumenkörbchen hervor: nicht standesgemäß! Schadow entfernt das anstößige Requisit und drapiert stattdessen ein in flüssigen Gips getauchtes Tuch in die Hand der Kronprinzessin. So wird die Fehlstelle kaschiert. Zufriedengestellt gibt der König schließlich den Auftrag zur finalen Umsetzung in Marmor, die 1797 fertiggestellt wird.

Natur und Ideal

Die Ausstellung ermöglicht den direkten Vergleich der Marmorausführung mit dem (normalerweise in der Friedrichwerderschen Kirche aufbewahrten) Gipsmodell. Dieses war zuvor Gegenstand einer aufwendigen Restauration. Dabei galt es, von der empfindlichen Gipsoberfläche nicht weniger als sieben Übermalungsschichten sorgsam abzunehmen, weil diese nicht nur die Farbwirkung beeinträchtigten, sondern vor allem Feinheiten der Modellierung undeutlich machten. Der 3-D-Abgleich von Gips- und Marmorfassung belegt die enorme Präzisionsarbeit der Schadowschen Werkstatt: Die Formabweichungen bei der Übertragung mithilfe eines Punktiersystems, stellten die Forscher verblüfft fest, betragen auf achtzig Prozent der Oberfläche weniger als 3 Millimeter!

Schadows Hauptwerk ist eine wirkmächtige Bilderfindung: Weibliche Individualität und monumentaler Anspruch, emphatisch romantische Freundschaft und nicht zuletzt Sinnbild des preußischen Patriotismus. Der Künstler formuliert Programm und Herausforderung seiner Prinzessinnengruppe: „Ähnlichkeit mit Anmut zu vereinigen, in einem Moment den Reiz zusammen zu fassen, der im Leben, durch das beseelte Bewegte, Mannichfaltige unendlich vieler Momente liegt, erfordert ein zartes Kunstgefühl und einen an List grenzenden Beobachtungsgeist.“ Berührende Formen, so ist die Berliner Ausstellung überschrieben: Die Natur und das Ideal sollten sich so schwesterlich umarmen wie die beiden Prinzessinnen, das ist Schadows bildnerisches Credo, das noch ins 20. Jahrhundert hinein ausstrahlt.

Ausstellung: Johann Gottfried Schadow. Berührende Formen.

Ort: Alte Nationalgalerie, Besuchereingang Bodestraße, 10178 Berlin

Dauer: bis 19. Februar 2023

Internet: https://www.smb.museum/museen-einrichtungen/alte-nationalgalerie/home/

Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, 10.00–18.00 Uhr

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Staatliche Museen zu Berlin

Die Alte Nationalgalerie zeigt eine der bedeutendsten deutschen Sammlungen der Kunst des 19. Jahrhunderts, die u. a. Werke von Caspar David Friedrich, Adolph Menzel, Edouard Manet, Claude Monet, Auguste Renoir oder Auguste Rodin beinhaltet. Zusammen mit dem Alten Museum, dem Bode-Museum, dem Neuen Museum und dem Pergamonmuseum bildet sie das Ensemble der Berliner Museumsinsel, die 1999 in die Liste des UNESCO Weltkulturerbes aufgenommen wurde. Das imposante Gebäude der Alten Nationalgalerie entstand von 1866 bis 1876 nach Plänen Friedrich August Stülers.

[Foto: © Staatliche Museen zu Berlin /Maximilian Meisse]

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