Ausstellung

Damals, als die Zukunft noch Spaß machte

Ein Rückblick auf die Postmoderne in der Bundeskunsthalle Bonn

Es war so 1980 herum, da tauchten sie plötzlich überall auf: Sitzmöbel in barocker Behäbigkeit, Polsterstoff und Rahmen all-over gepünktelt, als sei Meister Seurat persönlich am Werke gewesen, knallbunte Regale mit schrägen Böden, ganz offenkundig zum Aufbewahren von Büchern nur bedingt geeignet, kitschige Materialimitationen, die allseits akzeptierte ästhetische Reinheitsgebote kichernd unterliefen … Was war geschehen?

Erede Ettore Sottsass (Memphis Milano), Carlton, Raumteiler, 1981 / VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Erede Ettore Sottsass (Memphis Milano), Carlton, Raumteiler, 1981
© VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Die Moderne der Nachkriegszeit war einst durch und durch rational gestimmt gewesen: Aus Bauhaus-Erbe und skandinavischer Schlichtheit war eine Welt von Produkten (und Denkkonstrukten) erstanden, die auf die vernünftige Lösung aller Probleme setzte. „Quadratisch. Praktisch. Gut“, so herrlich knapp brachte ein Werbeslogan für Schokolade, der nicht umsonst den Weg in die Alltagssprache fand, die Sache auf den Punkt. Aber die Vernunft erwies sich als lückenhaft, begrenzt – und irgendwie auch als ein wenig armselig. Die Versprechen der Moderne vom Fortschritt für jedermann, sie hatten sich als hohl erwiesen und: War Vernunft überhaupt vernünftig? Wollten wir nicht alle doch lieber ein wenig Spaß haben? Nicht immer in denselben, über den Globus verstreuten identischen Wohnschachteln hausen, umgeben von durchgedachten System-Möbeln und lauter rigoros praktischen Dingen? Nein, jenseits des funktionalistischen One-size-fits-all lockte die bunte Welt der Individualität! Hedonistische Selbstverwirklichung war angesagt, Ironie und Lust am Spiel. Statt der drögen und seit je etwas moralinsauren Devise des „Form follows function“ der alten Moderne zog in den späten 1970ern die Postmoderne ihr perlenglitzernde Banner von „Form follows fun!“ auf. Dass besagte Perlen allerdings manchmal nur unecht waren, störte so keinen, oder, siehe oben die getürkten Oberflächen, das war gerade der Clou!

Die Architektur liefert das Vorbild

„Anything goes. Alles auf einmal“ ist der großangelegte Versuch, eine faszinierende Epoche sowohl kulinarisch Revue passieren zu lassen, vor allem aber auch in ihrer ganzen Komplexität aufzufalten. Die große Themenausstellung in der Bundeskunsthalle widmet sich der „Postmoderne, 1967–1992“: Das Bonner Museum (Architekt Gustav Peichl, Eröffnung 1992) ist selbst Zeugnis dieser Bewegung, man sehe nur die verspielten Türmchen und die theatralische Freitreppe. Und tatsächlich war es das Feld der Architektur, auf dem der Begriff der Postmoderne zuerst ein breites Publikum erreichte. 1980 proklamierte die Architektur-Biennale von Venedig unter Kurator (und Architekt) Paolo Portoghesi „Die Gegenwart der Vergangenheit“. Ein veritabler Schocker, denn hier konnte man in einer eigens aufgebauten Strada Novissima, einer allerneuesten Straße, sehen, dass das Neue keineswegs neu war, sondern eine Wiederkehr der Vergangenheit – with a twist.

Aldo Rossi, Tea & Coffee Piazza, 1983 © Collection Groninger Museum, Foto: John Stoel

Aldo Rossi, Tea & Coffee Piazza, 1983
© Collection Groninger Museum, Foto: John Stoel

Mit Adaption, Zitat und Ironie wurde die geradlinige Fortschrittserzählung der Moderne ausgehebelt, die Vergangenheit zum unerschöpflichen Form-Reservoir. Nahezu alle Namen aus Venedig damals sind heute in der Bonner Ausstellung vertreten. Dort ist auch zu sehen, dass die Baukunst zwar die Leitgattung der Postmoderne war – unübersehbar in den zahlreichen Museumsneubauten jener Jahre in Frankfurt, Stuttgart, Wien und andernorts, aber diese neue Form eines spielerischen Historismus auch in anderen Bereichen begeistert aufgegriffen wurde. Die italienische Gruppe Memphis aus Mailand gelangte mit ihren Entwürfen für Möbel, Leuchten und allerlei Haushaltsobjekte zu internationalem Ruhm. Die Postmoderne polarisierte mit ihrer Exzentrik: Es gab wütende Ablehnung seitens der Verfechter von Funktionalismus und „guter Form“, aber auch Scharen enthusiastischer Käufer. Die Präsenz der Marke Alessi in der Küche wurde bald zum Ausweis trendbewusster Zeitgenossenschaft: Am Schnittpunkt vieler Linien der Postmoderne: Charles Jencks. Als Gestalter, Architekt, vor allem aber als Autor war der Brite enorm sichtbar: Sein Buch „Die Sprache der postmodernen Architektur“ erlebte ab 1977 zahlreiche Auflagen. Jencks, wie viele seiner Mitstreiter ein eifriger Polemiker, nannte in seiner systematischen Übersicht über die Postmoderne sogar ein exaktes Geburtsdatum, den 15. Juli 1972, 15:32. Denn just dieser Augenblick der Sprengung der in den 1950ern als typisches Projekt der rationalen Moderne errichteten Wohnanlage Pruitt-Igoe in St. Louis leitete für ihn den Tod der funktionalistischen Moderne ein …

Charles Jenkcs, Tea &Coffee Piazza, 1983 © Collection Groninger Museum, Foto: John Stoel

Charles Jenkcs, Tea &Coffee Piazza, 1983
© Collection Groninger Museum, Foto: John Stoel

Ein komplexes Phänomen

Das Bonner Kuratoren Team, Eva Kraus und Kolja Reichert, zieht den Kreis allerdings weiter: Ihre Ausstellung zeigt, die Ruinen der Moderne sind ein Ende – und ein Anfang. Und dies Neue beginnt schon lange vor besagtem dumpfem Knall und auf vielen Ebenen gleichzeitig: Der Beginn der Informationsgesellschaft in den 60ern gehört hierher, ebenso wie die Entfesselung der Finanzmärkte, das Aufkommen immer zahlreicherer Subkulturen – von Disco bis Punk. Der Gang durch die (ihrerseits postmodern angehauchte) Ausstellungsarchitektur ist eine Achterbahnfahrt: Neben Architektur und Design treten Mode auf, Film, Kunst, Technik, Massenmedien, Musikfernsehen und künstlerische Videos. Ein österreichischer Philosoph, Paul Feyerabend, liefert mit seinem griffigen Slogan „Anything goes“ 1975 den Grundbass postmoderner Befindlichkeit und gleichzeitig der Bonner Schau eine Kapitelüberschrift. Das rasende Karussell des so herrlich lustvollen, schrillen postmodernen Eklektizismus läuft so gegen 1992 aus mit dem Ende des Kalten Krieges und dem (seinerzeit, lang ist es her) proklamierten „Ende der Geschichte“.

Walter Pichler, TV Helm (Tragbares Wohnzimmer), 1967 © Generali Foundation, Foto: Werner Kaligofsky

Walter Pichler, TV Helm (Tragbares Wohnzimmer), 1967
© Generali Foundation, Foto: Werner Kaligofsky

Und heute? Vielfalt, Widersprüchlichkeit und Dezentralisierung – das war es eigentlich gewesen, was Feyerabend mit seinem oft nur verkürzt, als reine Aufforderung zum Spaß, aufgefassten Motto gemeint hatte – sind als gesellschaftliche und künstlerische Prinzipien geblieben. Befördert durch eine Technologie, die zwar zur Blüte der Postmoderne schon in Entwicklung war, aber erst danach virulent wurde: Digitalisierung, Internet und die Sozialen Medien. Einen amüsant-hellsichtigen Kommentar zur medial transportierten Mini-Bubble und heutigen VR-Begeisterung liefert schon 1967 der Bildhauer Walter Pichler. Ein drohendes Verschwinden der Realität ist ohnehin die dunkle Seite vieler postmoderner Konzepte.

Hans Hollein, Österreichisches Verkehrsbüro, 1978 ©Privatarchiv Hollein, Foto: Jerzy Survillo

Hans Hollein, Österreichisches Verkehrsbüro, 1978
© Privatarchiv Hollein, Foto: Jerzy Survillo

All die genannten Zusammenhänge zu entfalten, ist freilich nicht einfach. Sie entziehen sich im Grunde der Visualisierung im Medium einer Ausstellung und kommen voll zum Tragen erst im schwergewichtigen Katalog. Mag der so fröhliche wie ironische Hedonismus der Postmoderne auch heute fast befremdlich (wenn nicht gar unanständig) erscheinen, so gibt es in der Bundeskunsthalle zum Glück doch reichlich Augenfutter: So schwelgt Hans Hollein verliebt mit Messingpalmen im Exotischen bei seinem Wiener Reisebüro. Die erfrischende postmoderne Grundidee, dass alles auch ganz anders sein könne, ein Ausweg aus der (scheinbaren) Alternativlosigkeit des Funktionalismus, steht Pate bei Cindy Sherman mit ihren multiplen Ichs. Eine Fiktionalisierung, könnte man sagen, wie auch beim Citroen Konzeptfahrzeug Karin, einem Entwurf des Italieners Trevor Fiore, der die eigentlich unvereinbaren formalen und technischen Grundannahmen der statischen Pyramide und des dynamischen Automobils zu einer zugegeben sehr widersprüchlichen Einheit bringt. Na und? Anything goes!

Cindy Sherman, Film Still #25 ohne Titel, 1978 © Privatsammlung, Courtesy Sprüth Magers
Cindy Sherman, Film Still #25 ohne Titel, 1978 © Privatsammlung, Courtesy Sprüth Magers
Archizoom Associati, Lehnstuhl (1969), Lampe Sanremo (1968) © VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Foto: Pietro Savorelli
Archizoom Associati, Lehnstuhl (1969), Lampe Sanremo (1968) © VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Foto: Pietro Savorelli
Trevor Fiore, Citroën, Modell Karin, 1980 © Foto: Fonds de Dotation Peugeot pour la memoire de l’histoire industrielle
Trevor Fiore, Citroën, Modell Karin, 1980 © Foto: Fonds de Dotation Peugeot pour la memoire de l’histoire industrielle
Ettore Sottsass, Enorme, 1987 © erede Ettore Sottsass / VG Bild-Kunst, Bonn 2023
Ettore Sottsass, Enorme, 1987 © erede Ettore Sottsass VG Bild-Kunst, Bonn 2023
General Idea, Pasta-Gemälde: Ohne Titel (Mastercard), 1986–1987 © Rémi Villaggi / Mudam Luxembourg
General Idea, Pasta-Gemälde: Ohne Titel (Mastercard), 1986–1987 © Rémi Villaggi / Mudam Luxembourg

Ausstellung
Bis 28. Januar 2024: Alles auf einmal. Die Postmoderne, 1967–1992

Katalog
Alles auf einmal. Die Postmoderne, 1967–1992
Bundeskunsthalle Bonn (Hrsg.), Beiträge von N. Dhawan, D. Diederichsen, O. Eiser, G. Gebauer, G. Koch, E. Kraus, New Models, K. Reichert, L.–C. Szacke. Gespräche mit N. Brody, D. Scott-Brown, M. Schularick, J. Vogl, J. Wines, Broschur, dt., 288 S. m. 350 Abb. in Farbe, 24 x 28 cm, Hirmer, ISBN 9783777442747

Kontakt
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH
Helmuth-Kohl-Allee 4, 53113 Bonn, Tel. +49-228-9171-0
www.bundeskunsthalle.de

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Die Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn, kurz Bundeskunsthalle, ist ein besonderer Ort der Kunst, Kultur und Wissenschaft. Im Zentrum des Programms steht die Kunst aller Epochen, einschließlich zeitgenössischer Kunst, sowie Ausstellungen zu kulturhistorischen Themen und Archäologie, aber auch Präsentationen zu anderen Wissensgebieten wie Technik oder Ökologie. Ziel ist es, den Blick nicht nur auf die westliche Kultur zu richten, sondern eine globale Perspektive aufzuzeigen.

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