Ausstellung

Unabhängig kraftvoll

Georgia O’Keeffe in der Fondation Beyeler

„Man nimmt sich selten die Zeit, eine Blume wirklich zu sehen.
Ich habe sie groß genug gemalt, damit andere sehen, was ich sehe.“
Georgia O’Keeffe 1926

Sie blickte auf besondere Art auf ihre Umgebung und setzte das Wahrgenommene in gänzlich neue Bilder der Realität um: Dieser ganz eigene Blick, verbunden mit einer behutsamen und respektvollen Annäherung an die Natur, macht Georgia O’Keeffe (1887–1986) zu einer der wichtigsten und interessantesten Malerinnen von Natur und Landschaft im 20. Jahrhundert. Die Fondation Beyeler widmet ihr die erste Ausstellung in ihrem Jubiläumsjahr: Mit 85 Werken aus öffentlichen und privaten Sammlungen, vornehmlich aus den USA, bietet die Schau „Georgia O’Keeffe“ einen repräsentativen Einblick in das ebenso vielfältige wie überraschende Schaffen dieser außergewöhnlichen Künstlerin. Die Retrospektive ist für das europäische Publikum eine seltene Gelegenheit, das Werk Georgia O’Keeffes in großer Tiefe zu entdecken, denn außerhalb der USA sind ihre Arbeiten kaum in Sammlungen vertreten.

O’Keeffe entwickelte eine individuelle, zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit changierende Bildsprache, die sich bis heute durch eine außerordentliche Aktualität auszeichnet. Die Malerin verbrachte ab 1918 entscheidende Jahre ihrer künstlerischen Entwicklung in der Metropole New York, im Zentrum des damals angesagten und höchst einflussreichen kleinen Kreises um Alfred Stieglitz: In der Galerie des Fotografen, Galeristen und Vermittlers wurde nicht nur sehr früh die Avantgarde Europas gezeigt und diskutiert, sondern auch die neue junge amerikanische Kunst und Fotografie propagiert und gefördert. Ihre frühe künstlerische Anerkennung und die darauffolgende Karriere hatte O’Keeffe nicht zuletzt der Unterstützung durch Stieglitz, ihren späteren Ehemann, und der jahrzehntelangen Verbindung zur New Yorker Kunstszene zu verdanken. Doch das urbane Leben der Großstadt hinterließ auch in Bezug auf ihre Kunst nur wenige Spuren. Sie blieb bodenständig, bewahrte sich ihre Selbständigkeit und innere Unabhängigkeit, die sich auf die eigene Wahrnehmung jenseits jeglicher künstlerischer Klassifizierung berief.

Georgia O’Keeffe kam am 15. November 1887 auf der elterlichen Milchfarm bei Sun Prairie, Wisconsin als zweites von sieben Kindern zur Welt und erhielt ab 1898 häuslichen Kunstunterricht. Von 1905 bis 1906 studierte sie an der School oft he Art Institute of Chicago, 1907–1908 besuchte sie die Art Students League in New York. Aufgrund familiärer finanzieller Schwierigkeiten arbeitete sie ab 1908 als freiberufliche Werbegrafikerin in Chicago. 1914 nahm sie ein Studium am Teachers College der Columbia University auf, bevor sie 1915 nach South Carolina umzog und dort Kunst am Columbia College unterrichtete. Im Frühjahr 1916 stellte Alfred Stieglitz, dessen New Yorker Galerie sie bereits 1908 kennengelernt hatte, einige ihrer Kohlezeichnungen aus. Er wurde ihr zeitlebens wichtigster Förderer, ihre intensive Briefkorrespondenz mündete in einer Liebesbeziehung berufliche Werbegrafikerin in Chicago. 1914 nahm sie ein Studium am Teachers College der Columbia University auf, bevor sie 1915 nach South Carolina umzog und dort Kunst am Columbia College unterrichtete. Im Frühjahr 1916 stellte Alfred Stieglitz, dessen New Yorker Galerie sie bereits 1908 kennengelernt hatte, einige ihrer Kohlezeichnungen aus. Er wurde ihr zeitlebens wichtigster Förderer, ihre intensive Briefkorrespondenz mündete in einer Liebesbeziehung wohin sie alljährlich zurückkehrte, immer allein, und tief beeindruckt war von Landschaft und Kultur. Nach dem Tod von Alfred Stieglitz (1946) ließ sie sich 1949 endgültig dort nieder. Von diesem neuen Lebensmittelpunkt aus unternahm sie ausgedehnte Reisen: Zuerst ging es im Frühjahr 1953 nach Frankreich und Spanien, dann 1959 auf eine Weltreise, die sie nach Südostasien, in den Fernen Osten, nach Indien, in den Mittleren Osten und nach Rom führte. Eine Asienreise nach Japan, Formosa, den Philippinen, Honkong, Kambodscha und auf die Pazifik-Inseln schloss sich im Folgejahr an. Diese weltweiten Reisen, die Erfahrung des Fliegens und der Blick aus dem Flugzeugfenster auf die Erde eröffneten ihr neue Perspektiven und inspirierten das Spätwerk. Georgia O’Keeffe stirbt am 6. März 1986 im Alter von 98 Jahren in Santa Fe.

Die Ausstellung in der Fondation Beyeler beginnt mit einem Blick auf O’Keeffes frühe Arbeiten, die während ihrer Tätigkeiten als Lehrerin in Virginia und Texas entstanden. Kohlezeichnungen wie Early Abstraction, 1915, und No. 14 Special, 1916, werden neben einer Auswahl kleinformatiger Aquarelle gezeigt, die eine intensive Farbigkeit und Leuchtkraft ausstrahlen. Red Landscape, 1916/17, mit seinem nächtlichen Himmel, der von einer spektakulären Lichtexplosion erhellt ist und die kargen Hügelformationen in leuchtendes Rot taucht, ist eines der wenigen Ölgemälde aus dieser Zeit. Darauffolgende Arbeiten wie Blue and Green Music, 1919/1921, und Series I – From the Plains, 1919, offenbaren die Auseinandersetzung der Künstlerin mit der Abstraktion. Grundsätzlich bestimmte jedoch das Nebeneinander von gegenständlicher und abstrakter Malerei das Schaffen O’Keeffes ganz wesentlich. Die Pflanzenwelt, insbesondere Blumen, dienten als zentrale Motive im Werk von O’Keeffe. In ihren großformatigen Blumenbildern, wie Jimson Weed / White Flower No. 1, 1932, einem der berühmtesten Werke aus dieser Gruppe, oder Oriental Poppies, 1927, lässt sich die Beschäftigung O’Keeffes mit der damals aktuellen Strömung der „Straight Photography“ erkennen. O’Keeffes wichtigste Inspirationsquellen waren die Natur und die Landschaft; sie malte sowohl figurative Werke als auch Abstraktionen, die auf Landschaftsmotiven basieren, zuerst am Lake George und später in New Mexico.

Die Werke aus der Zeit des ersten Aufenthalts in New Mexico, darunter Ranchos Church No. 1, 1929, und Gray Cross with Blue, 1929, bezogen ihre Anregungen von den für die Region typischen Erscheinungsformen wie der Adobe-Architektur oder den mitten in der Landschaft aufgestellten Büßerkreuzen einer religiösen Laienbruderschaft. In dieser Zeit entstand auch Mule’s Skull with Pink Poinsettias, 1936, eines von O’Keeffes berühmten Gemälden jener Tierschädel, die sie in der Wüste fand. Während der Kriegsjahre, als O’Keeffe permanent in New Mexiko lebte, wandelte sich ihr Blick auf diese Landschaft. In ihren beiden Werkserien Black Place I–IV, 1944, und Black Place I–III, 1945, gab sie die grauschwarze Hügellandschaft in einer ungewohnt dunklen Palette wieder und malte sie zunehmend abstrakt und aus der Vogelperspektive gesehen. Auch das Stillleben It Was a Man and a Pot von 1942, das einen menschlichen Schädel zeigt, legt nahe, dass sich O’Keeffes Wahrnehmung der Umgebung in den 1940er- Jahren unter dem Eindruck des Kriegsgeschehens veränderte. Im letzten Saal der Ausstellung trifft O’Keeffes Spätwerk auf Black Mobile with Hole, 1954, von Alexander Calder (1898– 1976), dessen Schaffen mit der Fondation Beyeler – sowohl durch die Sammlung des Museums als auch aufgrund mehrerer Ausstellungen – seit Langem verbunden ist. Während Calder, im Gegensatz zu O’Keeffe, eine anhaltende Beziehung zu Europa pflegte, teilten beide eine tiefe Verbundenheit mit den weiten Ebenen und dem endlosen Horizont des ländlichen Amerika, welche für ihre Kunst prägend war.

Georgia O’Keeffe galt in den USA bereits zu Lebzeiten als bedeutende Vertreterin und Mitbegründerin der neuen amerikanischen Kunst, wie sie seit den späten 1910er-Jahren neben und in Absetzung von der europäischen Avantgarde propagiert wurde. 1943 fand im Art Institute of Chicago ihre erste Retrospektive in einem Museum statt, 1946 organisierte das Museum of Modern Art, New York, eine große Ausstellung, die erste Werkschau einer Künstlerin in dieser Institution. Die meisten von O’Keeffes Werken befinden sich in den USA, sowohl in weit über 100 öffentlichen Sammlungen als auch in Privatbesitz. In Europa, wohin O’Keeffe selbst erst 1953, mit 65 Jahren, zum ersten Mal reiste, sind insgesamt nur etwa ein Dutzend Werke in privaten und öffentlichen Sammlungen anzutreffen. Die erste große Ausstellung auf dem Alten Kontinent wurde ihr 1993 in der Hayward Gallery in London ausgerichtet. Eine der wenigen Ausstellungen in den Jahren danach und die erste in der Schweiz war die 2003 von Bice Curiger kuratierte Retrospektive im Kunsthaus Zürich. Georgia O’Keeffe gehört heute auch in Europa zu den berühmten Künstlerinnen und Künstlern, obwohl ihre Werke nur selten im Original zu sehen sind.

„Georgia O’Keeffe“ wurde von Theodora Vischer, Chief Curator der Fondation Beyeler, kuratiert und wird in Riehen vom 23. Januar bis 22. Mai 2022 präsentiert. Die Ausstellung wurde von der Fondation Beyeler, Riehen/Basel, dem Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, Madrid, und dem Centre Pompidou, Paris, in Partnerschaft mit dem Georgia O’Keeffe Museum, Santa Fe, organisiert.


Auf einen Blick

Ausstellung: „GEORGIA O’KEEFFE“

Ort: Foundation Beyeler
Baselstrasse 101
CH-4125 Riehen/Basel

Dauer: bis 22. Mai 2022

Internet: https://www.fondationbeyeler.ch/ausstellungen/georgia-okeeffe

Öffnungszeiten: Mo – So 10:00-18:00 Uhr, Mittwochs 10:00-20:00

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Profile

Die Fondation Beyeler ist ein Museum für moderne und zeitgenössische Kunst, das 365 Tage im Jahr geöffnet ist. Es gilt als eines der schönsten weltweit. Insbesondere mit seinen Ausstellungen renommierter Künstler des 19., 20. und 21. Jahrhunderts hat es sich internationale Anerkennung erworben und als meistbesuchtes Kunstmuseum der Schweiz etabliert. Im Mittelpunkt stehen das persönliche Erlebnis und die sinnliche Erfahrung des Besuchers in der Begegnung mit Kunst und Natur.

Foto: Mark Niedermann

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