Ausstellung

Dem Sehsinn Futter geben

Die Düsseldorfer Akademie-Galerie zeigt eine Werkübersicht von Dieter Krieg

Bald ein Vierteljahrhundert lehrte Dieter Krieg an der Kunstakademie Düsseldorf. In dieser Zeit vermittelte der Maler und Konzeptkünstler (1937–2005) zahlreichen Studenten das handwerkliche und mentale Rüstzeug für eine Künstlerkarriere. In der Akademie-Galerie – Die Neue Sammlung ist jetzt eine Werkübersicht mit Arbeiten von Krieg zu sehen.

Wie passt eine spröde Litanei von Malernamen, dokumentiert auf Tonband, zu einem saftigen Stillleben, einem Spiegelei, das sich über eine Breite von bald fünf Metern erstreckt? Eigentlich gar nicht – es sei denn, Dieter Krieg ist im Einsatz, bringt in seinem Werk zusammen, was nicht zusammengehört, und meistert die Quadratur des Kreises, als sei nichts selbstverständlicher als das. In der Akademie-Galerie am Düsseldorfer Burgplatz sind diese beiden Schlüsselwerke, die Tonbandaufnahme „Allen Malern herzlichen Dank“ (1975) und das XXL-Spiegelei (1995/96), Teil einer Präsentation, die überschaubar ist, beinahe Studiocharakter hat. Dennoch verrät die von Vanessa Sondermann kuratierte Ausstellung viel über den Künstler, der in Lindau geboren wurde, an der Karlsruher Akademie studierte und 1978 einem Ruf an die Kunstakademie Düsseldorf folgte. Monumentale Bilder sind hier ebenso vertreten wie Zeichnungen und Skizzen. Zudem findet man Installationen im Geiste der Konzeptkunst und drei knuddelige Teddybären, die sich artig an der Hand fassen. Für Überraschungen war Krieg immer gut.

Das Bärentrio, ein ironisches Zitat der drei Grazien, hat für Düsseldorf besondere Bedeutung, entstand es doch gemeinsam mit Studenten seiner ersten Klasse: Cordula Güdeman, Bernd Jünger, Andreas Schulze und Ulrike Westerhoff waren beteiligt. Den Impuls für die Gemeinschaftsarbeit gab ein Teddybär aus Schulzes Kindertagen. Im Katalog sind mehrere Statements von Schülern Dieter Kriegs abgedruckt; sie vermitteln einen guten Eindruck von seiner Persönlichkeit und seiner Art, Kunst zu lehren. Besonders anschaulich die Erinnerung von Dietmar Lutz, der von 1990 bis 1997 bei Krieg studierte und einer seiner Meisterschüler wurde. „So etwas hatte ich noch nie gesehen“, erinnert sich Lutz an die erste Begegnung mit den Bildern seines Lehrers. „Riesenhafte Leinwände, alltägliche Gegenstände verwandelt durch schnelle, kraftvolle, lebendige Malerei in eine unwirkliche, übermenschliche, irritierende, groteske Welt. Eingefrorene Bewegung und absolute Präsenz, aber auch lapidar und unspektakulär. Die Irritation verstärkte sich dann noch, als ich bei ihm in der Klasse studieren wollte und ihn persönlich traf. Mir gegenüber ein leiser, wenig und langsam sprechender, sehr zurückhaltender Mann, der seltsam körperlos erschien und in seinem unfarbigen Anzug, getarnt als kleiner Angestellter, beinahe verschwand. Der Gegensatz zwischen Werk und Autor hätte nicht größer sein können.

Der Ausstellungstitel „Dieter Krieg – gut für die Aug’n“ bezieht sich auf eine die grazilen Bären hinterfangende sechsteilige Gemäldeserie. Ihr Standort ist das Karlsruher Max Rubner-Institut, das aus dem Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel hervorging. Pläne des Gebäudes übermalte Krieg 1994 mit dem Schriftzug „gut für die Aug’n“ sowie mit drei mächtigen Möhren. Ob sich der allseits gebildete Künstler bei der Motivwahl an das Zitat eines Vorgängers erinnert hat? Von Max Liebermann stammt der Ausspruch: „Eine gut gemalte Rübe ist wertvoller als eine schlecht gemalte Madonna.“ Wie auch immer, jedenfalls handelt es sich um eine hintergründige Anspielung auf die Volksweisheit „Karotten sind gut für die Augen“. Der Grund: Das in ihnen enthaltene Beta-Carotin lässt das Gemüse nicht nur lecker orange leuchten, es ist außerdem die Vorstufe des unverzichtbaren Vitamins A.

Gut für die Augen ist auch Dieter Kriegs Malerei, weil die Bilder in ihrer Dynamik und Expressivität dem Sehsinn ordentlich Futter geben. Furios, die abstrakten Farblandschaften, teils bereichert durch Comic-Cover oder lakonische Ausrufe („ach“, „oh“). Von enormer Präsenz die Stillleben mit Büchern und allerlei Essbarem (neben dem Spiegelei trumpft das Kotelett groß auf). Den „Hunger nach Bildern“, der sich als Reaktion auf die teils anämische Konzeptkunst seit dem Beginn der achtziger Jahre breitmachte, konnte man in Auseinandersetzung mit Dieter Kriegs Malerei beseitigen. Anders als manche Vertreter der damals angesagten „Neuen Wilden“ beschränkte er sich nicht darauf, es auf der Leinwand ordentlich krachen zu lassen; vielmehr ist sein heftiger Pinselstrich gleichsam literarisch grundiert.

In der Düsseldorfer Ausstellung springen einen zwei Bücher förmlich an; Samuel Beckett und Arno Schmidt werden hier ins Spiel gebracht. Obwohl Dieter Krieg ein überaus belesener bildender Künstler war, vertraut etwa mit Marcel Proust, James Joyce oder Jean-Paul Sartre, erlag er nicht der Versuchung, deren Werke im Medium der Malerei nachzuerzählen. Ganz im Gegenteil: Der Beckett-Roman „Watt“ und die Abhandlung über Arno Schmidt brillieren als Musterbeispiele kraftstrotzender Peinture. Die Vitalität der literarischen ‚Vorlage‘ wird übersetzt in die Vitalität der Malerei.

Den konzeptuellen Zweig seines Schaffens veranschaulicht die Akademie-Galerie unter anderem mit der 1972 entstandenen Lampen-Installation „4 Watt“: Obwohl die 50 Elemente den Abmessungen von herkömmlichen Leuchtröhren entsprechen und mit ihren metallenen Enden Funktionstüchtigkeit signalisieren, sind sie völlig unnütz: Die Beleuchtungskörper bestehen aus blickdichtem schwarzem Gummi. Ähnlich absurd die Marathonlesung, die Dieter Krieg 1975 als Gastdozent an der Frankfurter Städelschule auf den Weg brachte. Sämtliche Namen der im Künstlerlexikon Thieme-Becker aufgelisteten Persönlichkeiten ließ er von verschiedenen Sprechern verlesen. Eine Sisyphus-Arbeit. Von der Antike bis zur Gegenwart erstreckt sich das berühmte Nachschlagewerk. 36 Bände waren nötig, um von A bis Z sämtliche Kreative zu berücksichtigen. Die Arbeit „Allen Malern herzlichen Dank“ besteht aus 40 beidseitig besprochenen Tonbändern. Die Aufzeichnung dauerte 147 Stunden und 20 Minuten und wurde vom 8. Oktober bis zum 1. November 1976 in einer Münchner Galerie erstmals zu Gehör gebracht. Selbst passionierte Kunsthistoriker dürften es kaum über sich bringen, diese endlose Liste in toto zu inhalieren. Dieter Krieg ist übrigens nicht im Thieme-Becker vertreten; dessen letzter Band erschien 1962.

Auf einen Blick

Ausstellung: Dieter Krieg – gut für die Aug’n
Ort: Akademie-Galerie – Die Neue Sammlung, Kunstakademie Düsseldorf, Burgplatz 1, 40213 Düsseldorf
Dauer: bis 12. Februar 2023

Internet: https://www.kunstakademie-duesseldorf.de/de/einrichtungen/83-akademie-galerie/89-ausstellungen

Öffnungszeiten:
Freitag bis Sonntag, 12 bis 18 Uhr

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Profile

Dieter Krieg wurde 1937 in Lindau geboren. Er studierte an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe bei HAP Grieshaber und Herbert Kitzel. Mitte der 1960er-Jahre wurde die Kunstöffentlichkeit auf seine gegenständlichen Bilder aufmerksam, die man der sogenannten Neuen Figuration zuordnet. Konzeptuelle Arbeiten erweiterten das Werkspektrum seit den frühen 1970er-Jahren. 1977 war Krieg an der documenta 6 in Kassel beteiligt. 1978 übernahm er eine Professur an der Kunstakademie Düsseldorf, die er fast 25 Jahre innehatte. Im selben Jahr bespielte er den Deutschen Pavillon der Biennale in Venedig gemeinsam mit Ulrich Rückriem. Zusammen mit seiner Frau Irene gründete er im Jahr 2004 die Stiftung Dieter Krieg, die das Œuvre bewahrt, erforscht und für Ausstellungen zugänglich macht. Der Künstler starb 2005 in Quadrath-Ichendorf (Rhein-Erft-Kreis).

Foto: Stiftung Dieter Krieg

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