Ausstellung

Body and Soul

Tony Cragg in der Albertina Wien

Er beherrscht wie kaum ein anderer das Doppelspiel aus abstrahierender Naturanschauung und ästhetischer Innovation: Die Bildhauerkunst von Tony Cragg verbindet Konzeptuelles mit Emotion, Poesie, Philosophie und Zeitkritik und verschafft ihm eine singuläre Position in der Kunstwelt. Mit einer Auswahl zentraler Skulpturen und Zeichnungen der
letzten zwei Jahrzehnte würdigt die Albertina in Wien erstmals das international renommierte Werk des 1949 in Liverpool geborenen und in Wuppertal und Berlin lebenden Künstlers.

Sein Umgang mit teils unkonventionellen Materialien wie Glasfaser und Kevlar, die neben Holz, Stein und Edelstahl zum Einsatz kommen, führt zu einer sehr unterschiedlich wahrnehmbaren Präsenz der Skulptur im Raum. Cragg arbeitet mit den sinnlichen Qualitäten der verwendeten Materialien, mit ihrer Reaktion auf Licht, ihrer Ausstrahlung. So entstehen nicht nur innere Dialoge zwischen dem Betrachter und den Skulpturen, sondern auch Beziehungen und Spannungsfelder zwischen den Skulpturen selbst.

Bereits als kleines Kind hat Tony Cragg über die Natur gestaunt und einen ganz eigenen, unmittelbaren und intensiven Blick auf seine Umgebung gerichtet. Sein Interesse an Geologie und unter der Erdoberfläche liegenden Strukturen, die den Landschaften erst ihre Form geben, haben Cragg in seinen Zwanzigern fasziniert. Er richtete damals sein Interesse auf eine Art wissenschaftlichen Röntgenblick unter die Oberfläche, der den Zusammenhängen zwischen dem verborgenen Darunter als formgebendem Teil für das Darüber nachspürt. Bereits darin sind die Hauptthemen seiner künstlerischen Arbeit, die Tony Cragg bis heute beschäftigen, eingeschrieben: Es geht um das Universum und seine Gesetzmäßigkeiten sowie um den Faktor Zeit. Es geht um das offen Sichtbare und das Verbergende wie Verborgene, um Materialien und ihre Eigenheiten wie Möglichkeiten, um Volumen und die Zusammenhänge von Innen und Außen, von Formen, Strukturen und Leere. Es geht um Ideen, um Konzepte und deren Realisierung, um Thema und Variation, um Größe, Gewicht und Farbe, aber auch um die so unterschiedlichen sinnlichen Qualitäten der verwendeten Materialien.

2006 erwarb der mit dem Turner-Preis ausgezeichnete Künstler, der mit seinen Arbeiten auch auf der Biennale in Venedig und der Documenta vertreten war, ein verwildertes Gelände in Wuppertal, wo er seinen unvergleichlichen Skulpturenpark namens Waldfrieden errichtete: In diesem Naturrefugium und in seinem Studio mit mehr als 20 fest angestellten Handwerkern, Technikern und Gestaltern entstehen seine Ideen: Gebilde von Rhythmus, Schwung, Faltung und Schichtung, wahrnehmbar als Transformationen von Materie zu Energie und umgekehrt. Tony Craggs Skulpturen sind als Kraftfelder erlebbar und führen vor, dass jeder Körper energetische, spielerische und inspirierende Kräfte birgt.

Ab den 1990er-Jahren wandte sich Cragg verstärkt auch der Zeichnung zu, die sowohl Skizze als auch Ausdruck von Überlegungen zu formalen und inhaltlichen Fragen sein kann. Dabei arbeitet der Künstler gerne in Serien, in denen er die jeweiligen gegenständlichen wie abstrakten Motive abhandelt. Die für diese Ausstellung getroffene Auswahl an Zeichnungen enthält keine direkten Arbeiten zu den Skulpturen oder Vorzeichnungen. Es sind autonome Werke, in denen sich der Künstler auf eine experimentelle Spurensuche einlässt, eintaucht und sich in einem schrittweisen Prozess an ein Ergebnis herantastet. Am meisten interessiert ihn dabei die Dynamik einer im besten Fall automatisch entstandenen Linie, einem Tanz vergleichbar.

 


Auf einen Blick

Ausstellung:
Tony Cragg. Sculpture: Body and Soul

Ort und Laufzeit:
ALBERTINA
Albertinaplatz 1, 1010 Wien
Bis 6. November 2022

Internet:
www.albertina.at/

Öffnungszeiten:
Täglich | 10 bis 18 Uhr
Mittwoch & Freitag | 10 bis 21 Uhr

0 Kommentare
Kommentare einblenden

Profile

1776 gründete Herzog Albert von Sachsen-Teschen eine Grafiksammlung, die zusammen mit dem sie beherbergenden Palais 1919 als Museum für die Kunst von der Renaissance bis zur Gegenwart verstaatlicht wurde.

Die ALBERTINA ist heute bewusst als janusköpfiges Haus positioniert: Auf der einen Seite repräsentieren die renovierten und wieder mit Originalmöbeln ausgestatteten Prunkräume den fürstlichen Wohnstil der ehemaligen Habsburgerresidenz. Andererseits ist die ALBERTINA mit ihren großen Wechselausstellungen wie mit ihrer Dauerausstellung – Malerei der Moderne und der Gegenwart – ein modernes Museum.

© Albertina, Wien (Foto: Alexander Ch. Wulz)

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren: