Buchtipp

Zeichenschule

Wer Menschen oder Tiere zeichnen möchte, kommt nicht daran vorbei, sich mit ihren anatomischen Grundlagen vertraut zu machen. Und wer sich mit der künstlerischen Anatomie von Mensch und Tier befasst, kommt nicht an den Fachbüchern von Gottfried Bammes (1920–2007) vorbei.

Es gibt nicht viele Autoren, die sich, wie er, dieses Thema zur Lebensaufgabe gemacht haben. Während seiner gesamten beruflichen Laufbahn setzte sich Gottfried Bammes mit anatomischen und pädagogischen Aspekten der Kunst auseinander. Als Professor für Künstleranatomie an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden begründete er ab 1960 den Ruhm dieses von ihm selbst aufgebauten Fachbereichs.

Zuvor hatte sich der „Nestor der künstlerischen Anatomie“ systematisch mit dem Verhältnis künstlerischer Gestaltung, anatomischer Gegebenheiten und ihrer didaktischen Aufarbeitung auseinandergesetzt. Obwohl Gottfried Bammes bereits als Bildender Künstler anerkannt war, studierte er Grafik und Malerei, vertiefte seine Kenntnisse durch die Qualifizierung zum Anatom und schloss dem ein zusätzliches Pädagogikstudium an.

Sein umfangreiches Wissen gab der 1985 emeritierte Professor auch in zahlreichen Lehrwerken und Handbüchern weiter, von denen viele längst als Standardwerke gelten. Sie zeichnen sich durch Gottfried Bammes´ Fähigkeit aus, anatomische Gesetzmäßigkeiten bei Mensch und Tier für die künstlerische Umsetzung zu nutzen, dies pädagogisch kenntnisreich zu vermitteln und in der ihm eigenen Handschrift umzusetzen.

Die als preiswerte Studienausgabe angelegte „Zeichenschule“ umfasst seine beiden wegweisenden Werke „Menschen zeichnen“ und „Tiere zeichnen “. Sie gehen anhand zahlreicher Beispiele, Schaubilder, Lehrtafeln, Detailstudien und Gesamtansichten auf jeden Aspekt der Anatomie ein und veranschaulichen verschiedene Zugangswege und Techniken, um sich den Proportionen und dem konstruktiven Aufbau der Körper zu nähern, von der einfachen Umrisszeichnung mit Feder und Rötel über Kreidezeichnungen, Bleistift- und Graphitstudien bis hin zu feinen Aquarellarbeiten. Diese Vielfalt der Darstellungstechniken macht die auf den ersten Blick etwas antiquierte Anmutung des Buches schnell vergessen und den künstlerisch-didaktischen Wert des Buches aus. Denn die etwa 600 Zeichnungen von Gottfried Bammes und anderen namhaften Künstlern erweisen sich als so instruktiv, dass sich die behandelten Themen über die Bebilderung erschließen und der begleitende Text auf das Wesentliche begrenzt und ausgesprochen knapp ausfällt. Hier stehen eindeutig das Wahrnehmen und die praktische Umsetzung im Vordergrund.

In „Menschen zeichnen“ geht Gottfried Bammes zunächst ausführlich auf die Proportionen der menschlichen Figur ein, zeigt anschließend Menschen in Ruhehaltung und Bewegung, um sich im Folgenden ausführlich den relevanten Details einschließlich Knochen und Muskelstrukturen zuzuwenden: Bein und Fuß, Rumpf und Schulter, Arm und Hand, Kopf und Hals. Der Kreis schließt sich, wenn der Aufbau der gesamten Gestalt behandelt wird, von der einfachen Skizze bis hin zur durchgearbeiteten, detailreichen Figur.

Auch „Tiere zeichnen“ steigt bei unterschiedlichen Methoden zum Proportionsstudium und zum konstruktiven Aufbau der Tiergestalt ein. Die Größenverhältnisse von Großsäugern und ihre Hauptkörpermassen stehen dabei im Vordergrund, werden zueinander und zum Menschen in Relation gesetzt. Über verschiedene Ruhehaltungen und Bewegungen werden Skelett- und Knochenaufbau studiert, im Folgenden auf Muskeln, Knochen, Schädelformen, Vorder- und Hinterläufe eingegangen, bevor die gesamte Tiergestalt auch im Hinblick auf Körperbedeckung und Fellstruktur behandelt wird.

Gottfried Bammes hatte es sich zum Ziel gesetzt, seine Studierenden innerhalb von zwei Jahren dazu zu befähigen, die Gestalt von Mensch und Tier korrekt konstruiert und frei Hand im eigenen Duktus zeichnerisch umzusetzen. Seine konstruktiven Zeichnungen vermitteln Einblicke in die anatomischen Strukturen und die dreidimensionalen Formen des Körpers. Sie genügen nicht nur künstlerischen, sondern auch wissenschaftlichen Ansprüchen. Als Standardwerke der künstlerischen Anatomie setzen die in der „Zeichenschule“ versammelten Lehrwerke Kenntnisse der Zeichentechnik voraus. Das Buch wendet sich in erster Linie an Kunststudierende, ist aber auch ein unerlässliches Nachschlagewerk für erfahrene Künstler und eine zuverlässiges Grundlagenwerk für fortgeschrittene Autodidakten.

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