Hintergrund

Ausdrucksmedium Klebeband

Bruno Kolberg, Bodo Höbing und Nikolaj Bultmann produzieren Kunst von der Rolle. Ein Besuch im Atelier des Berliner Tape-Art-Kollektivs „Klebebande“.

Vor ihm an der Wand hängt eine weiße Kunststoffplatte. Seine Hand greift zum Band. Er reißt ein Stückchen ab. Akkurat klebt er eine feine Linie neben die nächste, drückt die Streifen mit dem Daumen auf die glatte Oberfläche. Dann tritt er einen Schritt zurück, blickt prüfend, setzt erneut an und lächelt. Mit dem Paketmesser schneidet Bruno Kolberg ab, was zu viel ist. Aus den geometrischen Strukturen formt sich so der Kopf eines Elefanten, der durch die Querstreifen über seinem linken Ohr lebendig wird. Als Grundlage dienen Bruno Kolberg, Bodo Höbing und Nikolaj Bultmann Wände, Decken oder Böden. Auch vor zwölf Meter langen Flächen machen sie nicht Halt. „Ich mag Street Style und Graffiti“, sagt Bruno. Obwohl seine Kunst analog ist, kommt sie nicht ohne Computer aus; seine Vorlagen zeichnet er mit dem Grafikbrett. Statt mit Öl, Kreide oder Bleistift erschafft das Trio neue Welten aus Klebeband. Neben wilden Tieren entstehen organische Muster, grinsende Fratzen, schwebende Astronauten und sehr an Graffiti angelehnte Schriftzüge und Stadtkulissen.

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Nicht nur die Welt wird immer schneller, sondern mit ihr auch die Kunst. Bei der Klebebande klingt sie nach einem knarzenden „Ratsch“ – dem Geräusch, wenn das Band schnell von der Rolle gerissen wird. Selbst geübte Kleber brauchen für ein Mapping, wie sich die Tape-Kunst nennt, meist mehrere Tage. „Du arbeitest viel mit geraden Linien. Der Reiz besteht darin, mit wenig etwas auszudrücken“, erklärt Bruno.

Die vermeintliche Straßenkunst sollte man jedoch nicht wörtlich nehmen, neben S-Bahn-Brücken sind auch Clubwände vor den dreien nicht sicher. Kilometerweise verklebten sie Bänder in den verschiedensten Nachtclubs. Mit dem Medium Klebeband gestalten sie zwei- und dreidimensionale Gebilde. Kanten, Kontraste, Schattenspiele gelingen mit der Klebetechnik problemlos. Wenn die drei Hand anlegen, entstehen aus ihren Klebekunstwerken ganze Bühnenbilder. Was jedoch bei den Jungs spielend leicht aussieht, wenn sie zum Kleben ansetzen, erfordert Erfahrung und ein gutes Auge fürs Optische. Den Einstieg als Künstler fanden die drei Berliner unabhängig voneinander. Vor gut zehn Jahren begannen ihre ersten Experimente mit Klebeband und Acrylfarbe, damals noch auf einer klassischen Leinwand. Bis sie sich 2010 bei der Gestaltung eines Wagens für den Berliner Karneval der Kulturen kennenlernten und beschlossen, als Kollektiv zu wirken. Ihr künstlerischer Hintergrund beeinflusst ihre Tape-Arbeiten: Der Kommunikationsdesigner Bodo arbeitet sehr technisch und strukturiert; Bruno, der aus der Graffiti-Szene kommt, ist eher verspielt; bei Nikolaj bemerkt man die Einflüsse aus der Malerei.

Trenddisziplin der Urban Art

Die Tape-Art ist ein noch junges Phänomen der Urban Art. Entstanden ist sie in den USA der 1960er-Jahre als Alternative zum Graffiti, doch populär wurde sie erst in den 1990er-Jahren. Die Kombination beider Disziplinen ist dabei nicht ungewöhnlich. In Deutschland ist die Klebekünstler-Szene noch ziemlich überschaubar und konzentriert sich stark auf Berlin. Zu den bekanntesten Vertretern hierzulande zählen neben dem Berliner Kollektiv der Münchner Felix Rodewaldt, die in Hamburg lebende polnische Installationskünstlerin Monika Grzymala und der Niederländer Max Zorn, deren Tape-Arbeiten unter anderem auf renommierten Kunstmessen wie der Art Basel und in diversen Galerien gehandelt werden.

„Tape ist ein ganz anderes Medium. Wir arbeiten viel mit Neonfarben, die helle Akzente setzen. Dadurch bekommen die Bilder noch mal eine andere Perspektive“, sagt Nikolaj. Gerade arbeitet er an einem neuen Bild, bei dem er die Fläche so beklebt, dass es an abstrakte Malerei erinnert. „Solche Kontraste wie mit Tape bekommst du mit Farben einfach nicht hin. Bei freien Arbeiten benutze ich das Klebeband wie Farbe und kombiniere es mit Grafischem“. Er hat sein Ausdrucksmedium gefunden, für ihn ist Klebeband „die neue Farbe“.
„Ich habe schon früh gewusst, dass ich künstlerisch tätig sein werde. Als Teenager habe ich viel gemalt: Figuratives, Zeichnungen und mit Acryl”, sagt Nikolaj. Doch bevor er selbst richtig künstlerisch aktiv wurde, kuratierte und organisierte er Ausstellungen. Nach seinem Studium eröffnete er mit seiner Mutter eine Outsider-Galerie und war sechs Jahre lang ihr künstlerischer Leiter, bis zu dem Zeitpunkt, als sich der Erfolg als Tape-Kollektiv bemerkbar machte.

An den weißen Wänden kleben eine Giraffe, ein Löwe und ein Ochse. Daneben befinden sich Pflanzen. Durch die Fenster des Hinterhofstudios fällt Licht ein. Im hellen Raum stehen mittig die Schreibtische. Bodo steht darüber gebückt. Vor ihm liegen QR-Code-artige Muster, darunter ein angeschnittenes Schachbrett, in Blockstreifen geteilte Quadrate und zwei schwarze Klebebandrollen. Mit Messer und Lineal zieht er feine Schnitte.

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Von einer Glasfassade getrennt liegt hinter ihm die Banden-Schatzkammer: fast zwei Meter hohe Regale, die mit unzähligen bunten Rollen gefüllt sind. Mal dicker, mal dünner, neongrün, schwarz, pink und blau. Sortiert sind sie nach Farben. Darüber wacht ein gelber Pit Bull, geklebt auf schwarzem Untergrund. Aus den klebrigen Fasern haben sie bereits über fünfhundert großformatige Kunstwerke geschaffen.

Von Tape Art zu Video-Mapping

Im Herbst erschien nun ihr erstes Buch „Tape Art – Kunst mit Klebeband”, in dem sie verschiedene Techniken vorstellen und einen Überblick über Materialien sowie Kunst aus anderen Ländern schaffen. „Leute treten mit uns in Kontakt, weil sie sich für Tape-Art und unseren Style interessieren. Durch das Tapen können wir uns frei ausleben“, sagt Bruno. Als Grafikdesigner war das selten möglich.

Bei ihrer Arbeit lassen sie oft erst den Ort auf sich wirken, überlegen dann, was und wie sie kleben. Vieles ist Freestyle, die Klebekünstler experimentieren gerne; Gaffa-, Krepp-, Isolier- oder Plastikband kommen zum Einsatz. Für ein Projekt in der Berliner Kunsthalle Platoon verklebten sie über anderthalb Kilometer Gaffaband – die Außenfassade und den Innenraum des Containers haben sie damit bespielt. Als Inspiration dienten ihnen die Grundelemente Feuer, Wasser, Luft und Erde.

Durch Video-Mapping verleihen sie Räumen eine neue Perspektive, wie den grauen Wänden der Berlin-Mitte-Bar Sharlie Cheen. Dort haben sie eine dauerhafte Installation an die Wand getaped, die quasi animiert ist. „Wir fanden die Tape-Art der Klebebande für unser Konzept sehr passend, da die Bar an sich sonst sehr moderne und eher kühle Designelemente hat“, so die Inhaber Dustin Render und The Anh Nguyen. Auf die geklebten Bilder werden Videos projiziert. Dadurch entstehen optische Täuschungen, die das Tape-Bild wie eine LED-Wand erscheinen lassen.

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Hinter den verschnörkelten Eisengittern in Berlin-Kreuzberg liegt das Reich der Tape-Artisten. Die Leidenschaft fürs Zeichnen und Gestalten hat sie zusammengebracht. „Wir wollen einer künstlerischen Aussage gerecht werden und diese entwickeln“, sagt Nikolaj. Aus Spaß an der Kunst haben sie begonnen. Ein Unternehmen, Kunstmessen oder Liveauftritte hatten sie damals noch nicht im Sinn. Das Klebeband scheint für das Trio nicht nur ein Ausdrucksmedium zu sein. Es steht sinnbildlich für ihren starken Zusammenhalt.

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Profile

2009 gründeten die Künstler Bruno „BeezeBoe” Kolberg, Bodo Höbing, und Nikolaj „NKOBU” Bultmann das deutsche Tape-Art-Kollektiv: die Klebebande. Nach dem Motto „tape is the new paint for us“ erschaffen die gebürtigen Berliner außergewöhnliche Kunstwerke und Installationen auf verschiedensten Untergründen. Sie gestalten Räume und Gebäude, Stadtbilder, haben das Tape Mapping (hierbei werden Kunstwerke aus Klebeband mit visuellen Effekten animiert) entwickelt und führen Workshops durch. Zentrales Motiv: Urbane und architektonische Strukturen sowie die Gegenüberstellung von Natur und dem vorherrschenden Zeitalter der Digitalisierung. Im vergangenen Jahr erschien ihr erstes Tape Art-Buch, in dem sie ihre Kunstwerke sowie die Techniken und Möglichkeiten der Tape Art vorstellen.

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