Buchtipp

Frauen verändern die bildende Kunst

Weben, Quilten, Soft Sculpture: von kunsthandwerklichen Techniken zur Avantgarde-Kunst

Ferren Gipson stellt in ihrem bei Prestel erschienenen Buch „Kunst von Frauen“ Künstlerinnen vor, die traditionelle Techni­ken des Kunsthandwerks neu bewerten und eindrucksvolle Wer­ke erschaffen.

In der Geschichte der westlichen Kunst wurde das Kunsthand­werk lange von den sogenannten hohen Künsten unterschieden. Man sah es eher im häuslichen Umfeld verortet und ausschließ­lich funktional. Folglich wurden einige Bereiche des traditionel­len Kunsthandwerks eher Frauen zugeschrieben, vor allem im Materialbereich Textil, selten auch Keramik.

Die „hohen Künste“ wie Malerei und Bildhauerei wurden hin­gegen von Männern dominiert. Mit der zunehmenden Industria­lisierung verloren seit dem 19. Jahrhundert Techniken, die in kleinen Werkstätten oder in Heimarbeit ausgeführt wurden, an Bedeutung und gerieten in Vergessenheit. An ihre Stelle traten die automatisierten Prozesse der industriellen Herstellung. Ge­staltung im Hinblick auf diese Erfordernisse war gefragt. Auf der anderen Seite versuchten Bewegungen wie das „Arts and Crafts Movement“ die traditionellen Handwerktechniken zu erhalten. Mit den neuen Produktionsbedingungen und Trends entstanden neue Definitionen und neue Arbeitsfelder. Man spricht von De­sign, Kunstgewerbe, Gebrauchskunst und angewandter Kunst bzw. dekorativer Kunst. Sie waren ebenfalls von Männern domi­niert. Und Männer waren es auch, die die Standards definierten, nach denen die gestalterische Qualität beurteilt wurde.

Gleichzeitig gehörten im westlichen Kulturkreis Sticken und Spitzenklöppeln für Frauen aus höheren Bildungsschichten zur hausfraulichen Ausbildung, für weniger wohlhabende Frauen und in anderen Kulturräumen waren und sind Flicken, Häkeln, Knüpfen, Nähen, Spinnen, Stricken oder Weben Tätigkeiten, die von Frauen selbstverständlich erledigt werden.

Im beginnenden 20. Jahrhundert definieren mutige Künstlerinnen diese Techniken neu und damit auch die Verwendung von Materialien. Die Publikation „Kunst von Frauen“ erzählt die Geschichte dieses radikalen Wandels. Sie stellt moderne und zeitgenössische Künstlerinnen vor, die es gewagt haben, dieser Hierarchie zu trotzen und die durch Experimentieren und Erfinden ihr Medium verändert haben.

Die folgende Aussage der Künstlerin Miriam Schapiro (1923–2015), die Ferren Gipson im Vorwort ihres Buches zitiert, zeigt die Geringschätzung, die den Künstlerinnen damals entgegengebracht wurde und deren Bedürfnis nach Anerkennung: „Ich hasse elitäres Denken, und in der Kunst wurde elitäres Denken durch die Jahrhunderte von Männern weitergegeben. Wir wurden nie als Macherinnen wahrgenommen. Jahrtausendelang wurden Weben, Töpfern und Nähen für etwas gehalten, das ungeschulte Frauen eben mit ihren Händen machten. Aber genau das war unsere Kunst“.

Ein langer und hindernisreicher Weg, der Frauen und Männern gleichermaßen ein neues Wahrnehmen und Denken abforderte – insbesondere dann, wenn zusammentrifft, was als „der feminine Blick“, „die weibliche Herangehensweise“ und „die Verwendung frauentypischer Materialien“ wahrgenommen wird. Annette Messager beschreibt diesen langsam fortschreitenden Veränderungsprozess 2007 knapp, treffend und selbstreflektiert in „The New York Times“: „Am Anfang war ich stolz, wenn jemand sagte ‚Deine Arbeit sieht aus wie von einem Mann‘. Später wurde mir klar, dass das dumm war.“

Das Buch versteht sich als eine Hommage an Künstlerinnen, die mit Techniken, die lange als typisch weiblich galten, Avantgarde- Kunst schaffen. In den Werken von 33 Künstlerinnen, darunter Yayoi Kusama, Meret Oppenheim, Anni Albers oder Otobong Nkanga, werden eindrucksvoll die visionären und bahnbrechenden Herangehensweisen dieser Künstlerinnen sichtbar. Das ermutigt und weckt die Freude daran, neue Künstlerinnen und künstlerische Umsetzungen zu entdecken! Biografische Texte, die auch die Besonderheiten der Techniken erläutern, und zahlreiche Abbildungen runden Ferren Gipsons aufschlussreichen Blick auf dieses Genre zeitgenössischer Kunst von Frauen ab.

Die Autorin

Ferren Gipson ist Kunsthistorikerin, Autorin und Moderatorin. Sie ist Gastgeberin und Produzentin des Art Matters Podcasts, Doktorandin an der SOAS, University of London und Autorin von The Ultimate Art Museum.

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Vom weiblichen Kunsthandwerk zur feministischen Avantgarde

In der Geschichte der westlichen Kunst wurden die dekorativen und angewandten Künste wie Textilien und Keramik von den „hohen Künsten“ der Malerei und Bildhauerei unterschieden und als eher für Frauen geeignet angesehen. Mutige Künstlerinnen begannen, diese Methoden und Materialien neu zu definieren. Kunst von Frauen erzählt die Geschichte dieses radikalen Wandels und stellt moderne und zeitgenössische Künstlerinnen vor, die es gewagt haben, dieser Hierarchie zu trotzen und die durch Experimentieren und Erfinden ihr Medium verändert haben. In den Werken von 33 Künstlerinnen, darunter Yayoi Kusama, Meret Oppenheim, Anni Albers oder Otobong Nkanga, werden eindrucksvoll die visionären und bahnbrechenden Herangehensweisen dieser Künstlerinnen sichtbar. Biografische Texte, die die Besonderheiten der Techniken erläutern, und zahlreiche Abbildungen eröffnen in diesem Band spannende und aufschlussreiche Blicke auf die zeitgenössische Kunst von Frauen – nicht nur für Frauen

224 S., durchg. 4-farbig, 20,4 x 25,3 cm, Halbleinen, dt., Prestel 2023

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