Vija Celmins in der Fondation Beyeler
Ihre Gemälde und Zeichnungen von Galaxien, Mondoberflächen, Wüsten und Ozeanen laden zur Vertiefung in die faszinierenden Bildoberflächen ein: Vija Celmins (*1938) ist eine Meisterin der subtilen Bildgewalt. Ihre Werke sind nicht monumental, entziehen sich aber dem schnellen Blick, und ihre Palette ist zurückhaltend. Trotzdem fesseln die Arbeiten die Betrachtenden in der Erkundung der Spannungen zwischen Fläche und Raum, Distanz und Nähe, Bewegung und Stille. Noch bis zum 21. September 2025 bietet die Fondation Beyeler in Basel bei Riehen die eher seltene Gelegenheit, das Werk der amerikanischen Künstlerin zu entdecken. Die in Zusammenarbeit mit der Künstlerin realisierte Ausstellung „Vija Celmins“ präsentiert rund 90 Werke, darunter vor allem Gemälde und Zeichnungen sowie einige Skulpturen und Druckgrafiken.
Die 1938 in Riga, Lettland, geborene Celmins war 1944 mit ihrer Familie nach Deutschland geflüchtet, von wo sie 1948 in die Vereinigten Staaten auswanderte. Sie wuchs in Indianapolis auf, studierte Kunst in Los Angeles und zog später nach New Mexico, New York und Long Island, wo sie heute lebt und arbeitet. Als Künstlerin genießt Vija Celmins höchstes Ansehen, es gibt jedoch nur selten die Gelegenheit, ihre Arbeiten zu sehen, nicht zuletzt, weil Celmins im Laufe ihrer Karriere nur etwa 220 Malereien, Zeichnungen und Skulpturen geschaffen hat. Sie verfolgt seit jeher eine sehr eigenständige künstlerische Praxis, und ihr Schaffen unterliegt ihrem ganz eigenen Tempo.
Die Ausstellung in der Fondation Beyeler präsentiert eine sorgfältig ausgewählte Gruppe von Gemälden, Zeichnungen und Skulpturen, die einen umfassenden Überblick über die bereits rund sechs Jahrzehnte währende Karriere der Künstlerin vermitteln. Dabei erstreckt sich die Schau von einer Auswahl bedeutender früher Gemälde von Alltagsgegenständen aus den 1960er-Jahren bis hin zu ihren jüngsten Bildern von Schneeflocken im Nachthimmel, die auf meisterhafte Weise das Geheimnis des Kosmos heraufbeschwören.
Den Auftakt der Ausstellung bilden Gemälde, die zwischen 1964 und 1968 in Celmins՚ Studio in Venice Beach, Los Angeles, entstanden sind. Im Gegensatz zu vielen anderen Künstlern und Künstlerinnen, die in den Sechzigern in dieser Stadt arbeiteten, fühlte sich Celmins nicht von dem strahlenden Licht und den Farben Kaliforniens angezogen. Sie konzentrierte sich zu dieser Zeit auf den Innenraum. 1964 schuf sie eine Gruppe von Gemälden, die einzelne Haushaltsgegenstände und -geräte darstellten, wie beispielsweise einen Teller, einen Heizkörper, eine Kochplatte und eine Tischlampe. Inspiriert von den Bildern Giorgio Morandis und Diego Velázquez’, die sie 1962 auf einer Reise in Italien und Spanien entdeckt hatte, verwendete sie eine gedämpfte Palette von Braun- und Grautönen, unter denen gelegentlich ein elektrisierendes Rot aufleuchtet.
Während der darauffolgenden zwei Jahre von 1965 bis 1967 schuf Celmins mehrere Gemälde, die auf Bildern aus dem Zweiten Weltkrieg und anderen Konflikten basierten. Als Vorlage dienten ihr Aufnahmen aus einem Buch und aus Zeitschriften. Diese bedrohlichen Darstellungen verweisen zum einen auf Erinnerungen an den Krieg, zum anderen auf eine jüngere Realität, in der die Allgegenwärtigkeit von Bildern zu einer Distanzierung von den darauf zu sehenden Geschehnissen führt.
Zwischen 1968 und 1992 widmete sich Celmins fast ausschließlich der Zeichnung. Als Vorlagen nutzte sie weiterhin Fotografien aus Zeitschriften oder eigene Aufnahmen. Als Motive dienten ihr Wolken, die Oberfläche des Mondes, der Wüste und des Ozeans. Den Anfang machte eine Gruppe von Zeichnungen von Mondlandschaften, die auf Aufnahmen der amerikanischen Mondsonden der späten 1960er-Jahre beruhten, welche Nahansichten von einem bis dahin unerreichbaren Ort in die Wohnzimmer vieler Menschen auf der ganzen Welt brachten. 1973 folgten die ersten Zeichnungen von Galaxien, die nach Bildern der NASA-Teleskope entstanden. Solche Aufnahmen lieferten Celmins den Anstoß, Bilder zu schaffen, bei denen die Spannung zwischen der Tiefe des kosmischen Raums – und anderer unfassbarer Räume – und der Fläche des Bildträgers das Seh-Erlebnis befördert.
Von Los Angeles aus unternahm Celmins Ausflüge in die Wüsten von Kalifornien, Nevada und New Mexico, wo sie auch mehrere Monate lebte. Fasziniert von den grenzenlosen Landschaftsräumen begann sie, die Stille und das Gefühl der stillstehenden Zeit in Zeichnungen wiederzugeben. Gegen Ende der 1970er-Jahre schuf Celmins eine Skulptur, mit der die Auseinandersetzung mit der Realität eine neue Form annahm. To Fix the Image in Memory I-XI, 1977–1982, besteht aus elf verschiedenen Kieseln, die sie in der Wüste New Mexicos aufgelesen hatte. Diese werden zusammen mit ihren Doppelgängern präsentiert: elf in Bronze gegossenen Kopien, die so bemalt wurden, dass mit bloßem Auge Original und Kunst kaum voneinander zu unterscheiden sind.
Bei sämtlichen Bildern von Celmins dienten Fotografien als Vorlagen, während die seltenen Skulpturen hingegen auf Objekte zurückgehen. Die Vorlage ist für Celmins eine Art Werkzeug, das es ihr erlaubt, sich nicht um Komposition und Ausschnitt Gedanken machen zu müssen. Sie fertigt jedoch kein Abbild der Vorlage, es handelt sich jedoch nicht um eine Form von Fotorealismus. Eher könnte man sagen, Celmins baut die Vorlage nach oder baut sie neu. Die Bilder sind aus zahllosen Schichten von Grafit oder Kohle auf Papier und Ölfarbe auf Leinwand aufgebaut. Es ist, als wenn Celmins von Hand die unfassbare Weite zu erfassen und festzuhalten versuche. Dies lässt sich besonders eindrücklich an den zahlreichen Bildern des nächtlichen Sternenhimmels nachvollziehen – das Motiv, das Celmins seit ihren Anfängen in seinen Bann gezogen hat.
1992 stieß die Künstlerin in einem Buch auf Abbildungen von Spinnennetzen. Die feinen Fäden und konzentrischen Muster inspirierten sie zu einer Serie von Gemälden und Kohlezeichnungen. Diese Auseinandersetzung führte sie mit einer Reihe von Gemälden von Objekten mit strukturierten Oberflächen fort: Zu sehen sind der Einband eines japanischen Buches, die rissige Glasur einer koreanischen Vase, die abgenutzten Oberflächen von Schiefertafeln, die sie auf Flohmärkten auf Long Island gefunden hatte, die zerklüftete Form einer erodierten Muschel. Jedes Bild ist eine exquisite Meditation über den Lauf der Zeit.
Vija Celmins, Untitled (Web #1), [Ohne Titel (Netz#1)], 1999 Kohle auf Papier, 56,5 x 64,9 cm Tate, ARTIST ROOMS gemeinsam erworben mit den National Galleries of Scotland durch die d‘Offay Schenkung mit Unterstützung des National Heritage Memorial Fund und des Art Fund 2008
© Vija Celmins, Courtesy Matthew Marks Gallery, Foto: Tate
Im letzten Ausstellungsraum wird diese Reflexion in den jüngsten und größten Gemälden, die Celmins bisher geschaffen hat, fortgesetzt. Diese Bilder von hell leuchtenden Schneeflocken im Nachthimmel vermitteln ein nachhaltiges Gefühl von ehrfürchtiger Stille.
Ergänzend zur Ausstellung zeigt die Fondation Beyeler „Vija“, einen Kurzfilm der renommierten Filmemacher Bêka & Lemoine. In 30 Minuten zeichnet der Film ein besonderes, aus dem Moment der Begegnung entstandenes Porträt der Künstlerin, die über ihre lebenslange Praxis nachdenkt und dabei sowohl die Türen ihres Ateliers als auch Schubladen ihres Archivs öffnet. Das Porträt nimmt die Zuschauerinnen und Zuschauer mit auf eine Reise durch die Formen, Bilder und Gedanken, die Vija Celmins’ unverwechselbare Sensibilität prägen.
Auf einen Blick
Ausstellung
Bis 21. September 2025: Vija Celmins
Öffnungszeiten
täglich 10.00 bis 18.00 Uhr, mittwochs bis 20.00 Uhr
Katalog
Vija Celmins
Theodora Vischer, James Lingwood (Hrsg.), Texte von Julian Bell, Jimena Canales, Teju Cole, Rachel Cusk, Marlene Dumas, Katie Farris, Robert Gober, Ilya Kaminsky, Glenn Ligon, James Lingwood, Andrew Winer, Hardcover, dt. 208 S. m. 114 Abb., 240 mm x 295 mm, Hatje Cantz, ISBN 9783775760300
Kontakt
Fondation Beyler
Baselstraße 101
CH–4125 Riehen
Tel. +41-61-6459700
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