Ausstellung

Glanzstücke der Zeichenkunst

Zeichnungen auf farbigen Gründen

Der Maler Cennino Cennini bezeichnete die Technik in seinem „Buch von der Kunst“ als „Tor“ zur Malerei: Das kontrastreiche Zeichnen auf farbigen Untergründen eigne sich insbesondere zum Studium des Eindrucks von Dreidimensionalität, von Licht und Schattenwirkungen. Darüber hinaus schule die Hell-Dunkel-Zeichnung den angehenden Künstler gerade aufgrund der reduzierten Farbpalette im Umgang mit Farben: Der Maler muss alles Darstellbare auf konträre Lichtverhältnisse reduzieren und mit sehr wenigen Tongraden arbeiten – vom Mittelton des Papiers aus ins Dunkle und ins Helle, um plastische Modellierung zu erreichen. Auf diese Weise lassen sich durch Höhung mit Glanzlichtern und Abtönung mit Metallstift, Pinsel, Feder oder Kreiden reiche tonale Abstufungen erzielen.

Meisterzeichnungen der Renaissance auf farbigen Gründen stehen im Zentrum der großen Frühjahrsausstellung „Leonardo – Dürer“, die bis zum 9. Juni 2025 in der Albertina Wien zu sehen ist. Wie der Titel verspricht, wird das Thema Regionen übergreifend zwischen Italien und dem Norden betrachtet. Mit der Präsentation einiger der schönsten Farbgrundzeichnungen von Leonardo, Dürer und anderen Künstlern bietet die Ausstellung Gelegenheit, die Entwicklung dieser faszinierenden Technik bis zum Ausgang der Hochrenaissance mitzuerleben.

Leonardo da Vinci, Stehender männlicher Akt, um 1503–1506, Rötel, Feder in Braun auf rot präpariertem Papier, 23,4 × 14,6 cm The Royal Collection / HM King Charles III, Windsor Castle © Royal Collection Enterprises Limited 2025 | Royal Collection Trust

Leonardo da Vinci, Stehender männlicher Akt, um 1503–1506, Rötel, Feder in Braun auf rot präpariertem Papier, 23,4 × 14,6 cm
The Royal Collection / HM King Charles III, Windsor Castle © Royal Collection Enterprises Limited 2025 | Royal Collection Trust

Die Technik, Papier und Pergament mit einem Gemisch aus Knochenpulver, Leim- oder Gummiwasser zu grundieren und der Grundierung Farbe in Pulverform beizumischen, war in Italien bereits im frühen 14. Jahrhundert in Gebrauch und ist um 1380 auch nördlich der Alpen nachweisbar. Neben Blättern mit farbiger Grundierung griffen die Künstler auch zu den bereits bei der Herstellung eingefärbten Natur- oder Tonpapieren, von denen die blaue „carta azzurra“ zuerst auftrat. Zeichnungen auf farbigem Grund werden in der italienischen Terminologie der Zeit „Chiaroscuri“ genannt. Der Begriff umfasst aber auch monochrome, rein in Hell-Dunkel-Abstufugngen wiedergegebene Darstellungen. Ferner werden auch Holzschnitte „Chiaroscuri“ genannt, die mit einer oder mehreren ergänzenden Farbplatten gedruckt sind und die ursprünglich das Aussehen farbiger Hell-Dunkel-Zeichnungen nachzuahmen suchten.

Leonardo da Vinci, Halbfigur eines Apostels, um 1494–1496, Metallstift, Feder in Braun, auf blau grundiertem Papier, 14,6 x 11,3 cm Albertina, Wien, © Foto: Albertina, Wien

Leonardo da Vinci, Halbfigur eines Apostels, um 1494–1496, Metallstift, Feder in Braun, auf blau grundiertem Papier, 14,6 x 11,3 cm
Albertina, Wien, © Foto: Albertina, Wien

Während Hell-Dunkel-Zeichnungen in Italien fast ausnahmslos Gemälde vorbereiten, schienen sie nördlich der Alpen eher selten als Mittel zum Zweck der Bildgenese eingesetzt worden zu sein. Hier wurde bildmäßig abgeschlossenen Werken der Vorzug gegeben, die für einen allmählich sich etablierenden Sammlermarkt geschaffen und für detailreiche Darstellungen religiöser oder mythologischer Themen genutzt wurden. „In Italien wird die Hell-Dunkel-Technik bereits seit dem frühen 14. Jahrhundert verwendet: vornehmlich benutzten die Künstler farbig präparierte Zeichnungen für Figurenstudien und bereiteten damit ihre Gemälde vor“, so Kurator Achim Gnann. „Die Ausstellung stellt die Entwicklung der Farbgrundzeichnung chronologisch dar, untersucht den Gebrauch farbig grundierter Zeichnungen bei einzelnen Künstlern und arbeitet auch Bezüge zur damaligen Druckgrafik heraus.“ Im deutschen Sprachraum wurde die Chiaroscuro-Zeichnung seit dem mittleren 15. Jahrhundert für delikate szenische Darstellungen bevorzugt: „Im Gegensatz zu Italien handelt es sich vor Dürer nie um Entwurfszeichnungen, sondern um kostbare Schau- und Sammlerstücke“, so Kurator Christof Metzger.

Leonardo da Vinci, Brustbild eines älteren Mannes, um 1508–1510, Rötel und schwarze Kreiden auf orangerot präpariertem Papier, 22,2 × 15,9 cm The Royal Collection / HM King Charles III, Windsor Castle © Royal Collection Enterprises Limited 2025 | Royal Collection Trust

Leonardo da Vinci, Brustbild eines älteren Mannes, um 1508–1510, Rötel und schwarze Kreiden auf orangerot präpariertem Papier, 22,2 × 15,9 cm
The Royal Collection / HM King Charles III, Windsor Castle © Royal Collection Enterprises Limited 2025 | Royal Collection Trust

Leonardo da Vinci wählte in seiner Frühzeit in Florenz in den 1470er-Jahren für seine Blätter auffällig verschiedene Grundierungen in leuchtend roten, orangen, hellvioletten, rosa- und cremefarbenen Tönen. Auf allen zeichnete er mit dem Metallstift, dessen Linien er bisweilen mit der Feder nachzog, um die Motive herauszuarbeiten und zu präziseren. Nach seiner Übersiedelung nach Mailand um 1482 griff er besonders gern zu einem zuvor nur selten verwendeten blau grundierten Papier, wie bei den Pferdestudien für das nie ausgeführte bronzene Reiterdenkmal, das Ludovico Sforza zu Ehren seines Vaters Francesco in Auftrag gegeben hatte. Bei diesen Studien hielt Leonardo mit dem Metallstift die anatomischen Details fest und veranschaulichte in Verbindung mit dem blauen Fond den dunklen Ton und die Härte der Bronze sowie die Einbindung des Pferdekörpers in einen von Luft und Atmosphäre durchtränkten Platz. Aufgrund der Vielseitigkeit seiner Interessen gelangen Leonardo bahnbrechende Entdeckungen und viele künstlerische Neuerungen: Er dürfte zum Beispiel als erster mit dem Rötel auf rot präpariertem Papier gezeichnet haben. Dabei hebt sich der Strich nicht kontrastreich vom Grund ab, sondern verbindet sich harmonisch mit dem Fond. Auf anderen Blättern verwendet er Rötel in Verbindung mit schwarzer Kreide, Feder, Weißhöhung und Lavierung und erzielt dadurch beeindruckende malerische Wirkungen.

Albrecht Dürer, Betende Hände, 1508, Pinsel in Schwarz, Grau und Weiß, auf blau grundiertem Papier, 29,1 x 19,7 cm Albertina, Wien, © Foto: Albertina, Wien

Albrecht Dürer, Betende Hände, 1508, Pinsel in Schwarz, Grau und Weiß, auf blau grundiertem Papier, 29,1 x 19,7 cm
Albertina, Wien, © Foto: Albertina, Wien

Nördlich der Alpen nutzten Künstler die Hell-Dunkel-Technik in erster Linie für bildhaft durchkomponierte Zeichnungen. Aufgrund der hohen ästhetischen Qualität ist das Verfahren besonders geeignet, den Blättern besonderen Status zu verleihen, und so kamen die gezeichneten Einzelstücke für anspruchsvolle Kundenwünsche auf den Markt. Während seines Aufenthalts in Venedig machte Albrecht Dürer um 1506 Bekanntschaft mit der italienischen Praxis, auf bereits im Herstellungsprozess durchgefärbten Bögen zu arbeiten. Besonderer Beliebtheit erfreute sich die tiefblau pigmentierte „carta azzurra“. In Venedig lernte Dürer auch Zeichnungen kennen, mit denen Künstler wie Giovanni Bellini oder Vittore Carpaccio während des Malprozesses Bilddetails ausarbeiteten. Der freundschaftliche Kontakt mit seinen Kollegen, insbesondere mit Bellini, dürfte Dürer damals angeregt haben, den Einsatzbereich der Hell-Dunkel-Technik um diese Anwendungsmöglichkeiten zu erweitern. Von nun an war die Arbeit an seinen venezianischen Gemälden von Zeichnungen auf „carta azzurra“ begleitet. Dem Künstler bot sich damit Gelegenheit, Varianten in ihrer malerischen Wirkung oder die Charakterisierung der unterschiedlichsten Oberflächen, Formen und Strukturen zu erproben. Als unmittelbare Vorstudien für die Malerei waren die Zeichnungen – nicht zuletzt wegen der extremen Ausarbeitung der Details – aber kaum zu gebrauchen. Als Teil seines Werkstattfundus hatte Dürer aber damit Glanzstücke analytischer Beobachtung und präziser Wiedergabe als Beleg seiner Kunst verfügbar.

Raffael, Studie zur Bridgewater-Madonna (Recto), um 1506–1507, Metallstift und Feder auf bräunlich grundiertem Papier, 26,2 × 19,3 cm Albertina, Wien, © Foto: Albertina, Wien

Raffael, Studie zur Bridgewater-Madonna (Recto), um 1506–1507, Metallstift und Feder auf bräunlich grundiertem Papier, 26,2 × 19,3 cm
Albertina, Wien, © Foto: Albertina, Wien

In der Wiener Ausstellung treffen erstmals 26 Zeichnungen Albrecht Dürers auf ebenso viele Werke von Leonardo da Vinci. Darüber hinaus werden hochkarätige Arbeiten von Raffael, Tizian, Albrecht Altdorfer, Hans Baldung Grien, Hans Holbein d.Ä. und weiteren Renaissancemeistern ausgestellt. Rund zwei Drittel der Meisterwerke stammen aus der Albertina selbst. „Die Renaissance war eine Zeit des Aufbruchs – auch in der Zeichenkunst. Die Ausstellung beleuchtet die Entwicklung der Technik des Hell-Dunkel-Zeichnens auf farbigem Papier – einer Kunst, die mit Leonardo im Süden ihren Höhepunkt fand und die Dürer nördlich der Alpen mit ikonischen Werken wie den Betenden Händen zu größtmöglicher Perfektion führte. In der Renaissance kam Künstlern der Gedanke, Papier zu grundieren oder bereits gefärbtes Papier zu verwenden, um auf diese Weise mit Virtuosität ins Dunkle, aber auch ins Helle zu arbeiten. So erschlossen sich den Künstlern und ihrem Publikum ganz neue plastische Möglichkeiten und ästhetische Erfahrungen, wie wir in dieser beachtlichen Zusammenstellung von knapp 150 Werken zeigen“, so Albertina-Generaldirektor Ralph Gleis. Mit den hochkarätigen Arbeiten aus dem eigenen Bestand sowie bedeutenden internationalen Leihgaben des Royal Collection Trust Windsor Castle, dem Louvre, dem Metropolitan Museum New York, den Uffizien in Florenz, dem Kupferstichkabinett Berlin, dem British Museum und zahlreichen weiteren internationalen Sammlungen bietet die Wiener Ausstellung somit eine einzigartige Gelegenheit, diese virtuose Technik zu entdecken.

Albrecht Dürer, Kopf des Laute spielenden Engels, 1506, Pinsel in Schwarz, Grau und Weiß, auf blauem Papier (carta azzurra) Albertina, Wien, © Foto: Albertina, Wien

Albrecht Dürer, Kopf des Laute spielenden Engels, 1506, Pinsel in Schwarz, Grau und Weiß, auf blauem Papier (carta azzurra) Albertina, Wien
© Foto: Albertina, Wien


Auf einen Blick

Ausstellung
Bis 9. Juni 2025: Leonardo – Dürer. Meisterzeichnungen der Renaissance auf farbigem Grund

Öffnungszeiten
Täglich von 10.00 bis 18.00 Uhr, Mittwoch und Freitag von 10.00 bis 21.00 Uhr

Katalog
Leonardo – Dürer. Meisterzeichnungen der Renaissance auf farbigem Grund
Ralph Gleis, Achim Gnann, Christof Metzger (Hrsg.), Beiträge von N. Büttner, L. Eder, A. Gnann, D. Korbacher, C. Metzger, F. Michel, K. Zgraja, geb., 400 S. m. 180 Abb., 24 x 30 cm, Hirmer Verlag, ISBN 9783777444673

Kontakt
Albertina
Albertinaplatz , 1010 Wien
Tel. +43-(0)1-53483-0
www.albertina.at

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Profile

1776 gründete Herzog Albert von Sachsen-Teschen eine Grafiksammlung, die zusammen mit dem sie beherbergenden Palais 1919 als Museum für die Kunst von der Renaissance bis zur Gegenwart verstaatlicht wurde.

Die ALBERTINA ist heute bewusst als janusköpfiges Haus positioniert: Auf der einen Seite repräsentieren die renovierten und wieder mit Originalmöbeln ausgestatteten Prunkräume den fürstlichen Wohnstil der ehemaligen Habsburgerresidenz. Andererseits ist die ALBERTINA mit ihren großen Wechselausstellungen wie mit ihrer Dauerausstellung – Malerei der Moderne und der Gegenwart – ein modernes Museum.

© Albertina, Wien (Foto: Alexander Ch. Wulz)

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