Ausstellung

Das Ideal der absoluten Schönheit

Unbedingt eines der Highlights des ausgehenden Jahres 2017: Die große Raffael-Schau in der Albertina in Wien, die bis zum 7. Januar 2018 zu sehen ist. Mit rund 130 Zeichnungen und 18 Gemälden versammelt die Ausstellung sämtliche bedeutende Projekte des Hochrenaissance-Meisters: Von der frühen umbrischen Periode (bis 1504) über die Florentiner Jahre (1504/05 bis 1508) bis hin zur römischen Zeit (bis 1520) werden beeindruckende Kunstwerke aus allen Schaffensphasen gezeigt.

Die Exponate stammen aus der eigenen Sammlung ebenso wie aus namhaften Museen – dem Ashmolean Museum in Oxford als Kooperationspartner, den Uffizien, der Royal Collection der britischen Königin, dem Louvre und den Vatikanischen Museen – und veranschaulichen Raffaels künstlerischen Ansatz und seine Arbeitsweise: Von den ersten spontanen Ideenskizzen über virtuose Detailstudien bis hin zu den ausgeführten Gemälden illustrieren sie seinen Denk- und Arbeitsprozess vom Entwurf bis zur definitiven Komposition und geben gleichzeitig einen profunden Einblick in das malerische Schaffen des Künstlers.

Raffael, geboren 1483 als Raffaello Santi in Urbino und schon zu Lebzeiten nur unter seinem Vornamen berühmt, gilt bis heute als einer der wichtigsten Maler und Zeichner der Kunstgeschichte. Mit Leonardo da Vinci und Michelangelo bildet er das große Dreigestirn der Renaissance. Ob als Maler in Umbrien, Florenz und Rom oder im Auftrag von Päpsten und Fürsten – Raffael war ein Universalgenie der Hochrenaissance, stets auf der Suche nach dem Equilibrium zwischen Naturnachahmung und Idealität.

Bereits sein Vater Giovanni Santi war Maler und sein erster Lehrmeister. Nach dem frühen Tod des Vaters 1494 kam Raffael in die Werkstatt Pietro Peruginos, dessen anmutige Figuren zu seinem großen Vorbild wurden. Schon 1500, also als Siebzehnjähriger, war Raffael als selbstständiger Meister anerkannt und erhielt den ersten Auftrag für ein Altarbild. 1504 begab er sich nach Florenz, studierte Werke von Michelangelo und Leonardo da Vinci – vor allem ihre monumentalen Kampfdarstellungen für den Palazzo della Signoria, die Schlacht von Cascina von Michelangelo sowie Leonardos Anghiari-Schlacht. Im Jahr 1508 ging der Künstler nach Rom, wo große Aufträge und finanzkräftige Auftraggeber lockten und ihm Papst Julius II. die Dekoration seiner Gemächer im Vatikan übertrug. 1509 erfolgt die Ausmalung der Stanza della Segnatura, bis 1514 diejenige der Stanza di Eliodoro und bis 1517 die Stanza dell’Incendio. Die Wandfresken der Stanza della Segnatura mit dem Parnass, der Disputa del Sacramento und der Schule von Athen gelten bis heute als der Höhepunkt der Hochrenaissance, ebenso wie die Zeichnungen Raffaels, die diese Meisterwerke vorbereiten.

In der Folge verbreitete sich der Ruhm Raffaels in nur wenigen Jahren über ganz Europa. Er war in Rom für Papst Julius II. und seinen Nachfolger Papst Leo X. ebenso tätig wie für Angehörige des päpstlichen Hofes und für weltliche Auftraggeber, darunter insbesondere für Agostino Chigi, den vermögendsten Bankier seiner Zeit. Der Künstler stattete dessen Kapellen in Santa Maria della Pace und Santa Maria del Popolo ebenso aus wie seine Villa am Tiber, die Farnesina.

In den Jahren 1514 bis 1516 entwarf Raffael die berühmten Kartons für die Teppichserie der Sixtinischen Kapelle, die in der Werkstatt des Pieter van Aelst in Brüssel gewebt wurden. 1514 wurde er auch zum Architekten von Sankt Peter ernannt: Zu seinen Aufgaben als Bauleiter des Petersdoms und als Aufseher über die Antiken gesellten sich zahlreiche weitere Projekte für Raffael als Maler und Architekt. Um diesen zahlreichen Verpflichtungen nachkommen zu können, beschäftigte er in seiner Werkstatt Schüler und Gehilfen. Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert sind Zeichnungen aus dieser Spätphase daher immer wieder seinen Mitarbeitern zugeschrieben worden, werden aber in der Wiener Ausstellung wieder für Raffael selbst in Anspruch genommen.

Um 1517 beauftragt Kardinal Giulio de’ Medici, der spätere Papst Clemens VII., Raffael mit einem Altarbild für seine Bischofskirche in Narbonne: die „Transfiguration“, die Verklärung Christi und die Heilung des Besessenen. Das monumentale Altarwerk, das sich heute in den Vatikanischen Museen befindet, sollte das letzte, eigenhändig gemalte Haupt werk Raffaels werden und gilt als sein künstlerisches Testament. Die dazugehörigen Studien für die Apostel zählen zu den schönsten Zeichnungen der italienischen Renaissance.

Raffael gilt der Kunstgeschichte als ein Meister der Schönheit und der Harmonie, seine Werke als erfüllt von dieser verheißungsvollen Botschaft, die heute noch aktuell scheint. Stärker als Leonardo oder Michelangelo setzte sich Raffael mit der Kunst seiner Zeitgenossen und Vorgänger auseinander, nahm sie auf, verarbeitete sie und kam schließlich zu eigenständigen Lösungen. Grundlegend für seine künstlerische Sicht blieb immer die Naturbeobachtung, das Studium am menschlichen Modell, an dem er jede Bewegung und jede Haltung seiner Figuren überprüfte. Durch die Auseinandersetzung mit dem Ideal der Antike erhielten seine Geschöpfe Monumentalität, Würde und Erhabenheit.

Raffaels spontane Gedanken und Intentionen sind am unmittelbarsten in den Zeichnungen nachzuvollziehen. Es hat fast den Anschein, dem Künstler beim raschen Aufsetzen einer Linie, beim Schraffieren mit Kreide oder Rötel oder beim Korrigieren eines Motivs über die Schulter zu schauen. Raffael zeichnete streng zweckgebunden, immer im Hinblick auf die Ausführung eines Kunstwerks. Er konzipierte dieses in einzelnen Entwurfsschritten, die vom primo pensiero über das Studium einzelner Figuren und Gruppen, den Gesamt entwurf, die Modell- oder Aktstudie bis hin zum modello und Karton gehen. Dieser systematische und prozessuale Charakter des Entwurfsverfahrens legt Zeugnis davon ab, mit welcher Sorgfalt Raffael seine Werke vorbereitete.

Die Auswahl der beeindruckenden Zeichnungen, die auch alle verwendeten Techniken und Materialien, wie Feder, Kreide, Kohle, Metall- und Silberstift, Weißhöhung und Lavierung vor Augen führen, und die Vielzahl der Gemälde in der Wiener Ausstellung gibt den Besucherinnen und Besuchern die einzigartige Möglichkeit, Raffaels vielseitige künstlerische Persönlichkeit als Maler und Zeichner zu erleben.

Raffael starb am 6. April 1520 im Alter von nur siebenunddreißig Jahren. Auf eigenen Wunsch wurde er in einem antiken Sarkophag im Pantheon in Rom bestattet. Ein Humanist verfasst für Raffael ein lateinisches Distichon: „Die Natur hatte Angst, als Raffael lebte, vor seinem Sieg; als er starb, dass sie sterbe mit ihm.“ Diese Grabinschrift fasst Raffaels Ästhetik zusammen – seinen Glauben an das Ideal der absoluten Schönheit.

Auf einen Blick

Ausstellung: Raffael

Ort: Albertina, Albertinaplatz 1, 1010 Wien
Internet: www.albertina.at

Öffnungszeiten

Ausstellungsdauer: Bis 7. Januar 2018
Täglich 10.00 bis 18.00 Uhr, Mi & Fr 10.00 bis 21.00 Uhr

 

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