Ausstellung

Klassenkampf statt Kunstgeschichte

Das Bröhan-Museum heftet sich auf die Spuren von George Grosz in Berlin und beleuchtet die Jahre der New Yorker Emigration

Was darf die Satire? Eine Frage, die immer wieder für erregte Debatten sorgt. Kurt Tucholsky hat 1919 in seinem gleichnamigen Aufsatz unmissverständlich Stellung bezogen: „Die Satire muss übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird.“ Tucholskys Definition liest sich wie ein Kommentar zu jenen Zeichnungen, die George Grosz während der Weimarer Republik anfertigte.

Sechs Grafik-Mappen, die zwischen 1917 und 1928 im Berliner Malik-Verlag erschienen, sorgten dafür, dass die messerscharf analysierenden, ätzenden Botschaften des Chronisten weite Verbreitung fanden. Mappen wie „Hintergrund“, „Die Räuber“ oder „Spießer-Spiegel“ sind jetzt Teil der Ausstellung „George Grosz in Berlin“, die das Bröhan-Museum in Berlin zeigt. Exemplarisch Blatt 2 der Mappe „Hintergrund“: Hochdekorierte Militärs, Richter und Priester bilden hier eine unselige reaktionäre Allianz, die der Künstler dem Spott preisgibt.

Grosz und Tucholsky einte nicht bloß die skeptische Weltanschauung, sie waren auch Freunde. Der Schriftsteller rühmte den Maler und Zeichner als „großen Könner“. Übertreibung, Verzerrung, Karikatur – solche Eigenschaften kennzeichnen die in den zwanziger Jahren entstandenen Werke von Grosz, der 1893 als Georg Ehrenfried Groß in Berlin geboren wurde, wo er 1959 auch starb. Ein aufmüpfiger Geist von Beginn an, ein Rebell, der sich mit allen Autoritäten anlegte. Mit 15 flog er von der Schule, weil er eine Lehrer-Ohrfeige erwidert hatte. Acht Jahre später, 1916, amerikanisierte er seinen Namen – ein frühes Protestsignal gegen den in Deutschland grassierenden Nationalismus. Zugleich ein Beleg für den Amerika-Enthusiasmus, der den Karl-May-Leser schon in der Jugend erfasst hatte. Am 12. Januar 1933 floh er vor den Nazis in die USA. Ein Entkommen in letzter Minute, denn schon am 31. Januar brach eine SA-Schlägertruppe in seine Wohnung ein, um den verhassten Künstler, den unerschrockenen Warner vor Hitlers Gewaltherrschaft mundtot zu machen. Beinahe überflüssig, zu erwähnen, dass bei der Schand-Aktion „Entartete Kunst“ (1937) sämtliche Werke von Georg Grosz in öffentlichen Museen und Sammlungen (285 Arbeiten) beschlagnahmt und großenteils vernichtet wurden.

Das Bröhan-Museum richtet dem Mahner wider Militarismus und Obrigkeitshörigkeit eine Präsentation aus, die das gesamte Schaffen ins Blickfeld nimmt. „George Grosz in Berlin“ vereint Werke aus Berliner Museen und Privatsammlungen, dem Berliner Kunsthandel und dem in Berlin befindlichen Nachlass. Im ersten Obergeschoss des Berliner Landesmuseums für Jugendstil, Art Déco und Funktionalismus sind die mehr als 200 Exponate dicht an dicht gehängt oder in Vitrinen ausgebreitet. Fast wird man von der Materialvielfalt auf engem Raum erschlagen. Die Retrospektive versteht sich als erster Schritt auf dem Weg zu einem – längst überfälligen – George-Grosz-Museum in Berlin. Zwar integriert die Werkübersicht, organisiert in Zusammenarbeit mit dem George Grosz Estate, auch die New Yorker Zeit – sie währte immerhin 26 Jahre; er kehrte erst 1959 nach Berlin zurück und starb am 6. Juli, kurz vor seinem 66. Geburtstag, nach einem Treppensturz infolge von Trunkenheit. Mehr Aufmerksamkeit erregen aber auch hier die ikonischen Werke der „roaring twenties“, als Grosz, Mitbegründer der Berliner Dada-Szene, Kommunist und Pazifist, mit dem Establishment gnadenlos ins Gericht ging. In Arbeiten wie dem „Brillantenschieber“ oder „Kapital und Militär wünschen sich: ‚Ein gesegnetes Neues Jahr!‘“ mutieren Biedermänner zu Schreckgestalten.

Grosz, der von 1912 bis 1917 an der Berliner Kunstgewerbeschule studierte, fiel früh aus dem Rahmen. Der junge Wilde gab sich als Dandy und sorgte erstmals 1915 für Empörung – da schlug er vor, Kriegsinvaliden sollten zur Aufbesserung ihrer Kasse Granatsplitter bemalen, die als Souvenir in Gestalt von Briefbeschwerern oder Aschenbechern verkauft werden könnten. Mehrfach wurde der Bürgerschreck angeklagt, etwa wegen Beleidigung der Reichswehr, Angriffs auf die öffentliche Moral und Gotteslästerung. Der Künstler ließ sich davon nicht unterkriegen. Gemeinsam mit den Brüdern Wieland und Helmut Herzfelde (John Heartfield) ging er gegen die Großkopferten auf die Barrikaden. Militaristen, Kriegsgewinnler, Finanzmagnaten – sie alle bekamen ihr Fett weg. Vor dem Nationalsozialismus warnte er hellsichtig bereits zu Beginn der Zwanzigerjahre. Auf Hitlers gescheiterten Putschversuch von 1923 reagierte er mit einem Plakat, auf dem „Siegfried Hitler“ die Alleinherrschaft für sich beansprucht. Nach seiner Emigration schrieb der Künstler: „Ich ging wegen Hitler. Er ist nämlich auch Maler … und da schien mir Deutschland für uns beide einfach zu klein.“ In der Ausstellung zeigt das Aquarell „The Menace“ (1934) Hitler als kolossalen Weltenzerstörer, der mit einem Fausthieb die Erde plattmacht.

Grosz bekannte sich zum Kommunismus, war zeitweise Mitglied der KPD, engagierte sich im „Arbeitsrat für Kunst“ und erklärte den Klassenkampf für bedeutsamer als die Kunstgeschichte. Eine Lithografie von 1924 zieht alle Register der Propaganda: Im Boxring kämpft ein kraftstrotzender Arbeiter gegen einen zur Fratze degenerierten Offizier. „Not kennt ein Gebot, schlag tot! Arbeiter, helft mit! Wählt Kommunisten!“, so lautet der Slogan dieses Blattes.

Bezeichnend eine Auseinandersetzung, die Grosz öffentlich mit Oskar Kokoschka führte. Als im März 1920 in Dresden der Kapp-Putsch tobte, kam es zu einem Gefecht zwischen Arbeitern und der Reichswehr, und eine Kugel durchschlug Peter Paul Rubens’ Gemälde „Bathseba“ in der Gemäldegalerie. Kokoschka, empört, ergriff Partei für die Kunst und mahnte davor, sich an den „heiligsten Gütern“ zu vergehen. Woraufhin Heartfield und Grosz eine scharfe Entgegnung veröffentlichten. Kokoschka wurde darin als „Kunstlump“ verunglimpft, als Repräsentant der „Ausbeuterkultur“. Derweil gefielen sich die Berliner Dadaisten in der Rolle des Bilderstürmers: „Wir begrüßen mit Freude, dass die Kugeln in Galerien und Paläste, in die Meisterbilder der Rubens sausen statt in die Häuser der Armen in den Arbeitervierteln!“

Die Sturm-und-Drang-Phase des Aufrührers flaute 1923 ab, als Grosz einen Vertrag mit Alfred Flechtheim abschloss. Der wichtigste Kunsthändler der Weimarer Republik verschaffte dem Künstler Zutritt zur Oberschicht, die er zuvor heftig attackiert hatte. Gleichwohl hielt George Grosz an seinem Anspruch fest, als politischer Künstler Stellung zu beziehen. Kollegen, die sich zum „L’art pour l’art“ bekannten, bekamen noch 1930 seinen Zorn zu verspüren: „Ihr gebt vor, zeitlos zu sein und über den Parteien zu stehen, ihr Hüter des ‚elfenbeinernen Turmes’ in euch … Eure Pinsel und Federn, die Waffen sein sollten, sind leere Strohhalme!“

Trotz seiner radikalen politischen Haltung wurde George Grosz in den USA mit offenen Armen aufgenommen. „Welcome to America!“, betitelte ein Kunstjournalist seinen Artikel über den deutschen Künstler mit englischem Namen, der 1938 die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt. Das Museum of Modern Art in New York feierte ihn 1941 mit einer Soloschau, die als Wanderausstellung in zehn weiteren Städten der USA zu sehen war. Und die Zeitschrift „Look“ reihte ihn 1948 sogar unter die zehn bedeutendsten lebenden amerikanischen Maler.

Das Bröhan-Museum bietet mit seiner aktuellen Ausstellung Gelegenheit, sich über die weniger bekannten New Yorker Jahre von George Grosz eingehend zu informieren. Gezeigt werden beispielsweise Fotografien, die der Künstler bei der Überfahrt nach Amerika machte, sowie Kostüm- und Bühnenentwürfe. Nicht zuletzt erfahren die in den USA entstandenen Gemälde Berücksichtigung. Dort änderte sich sein Stil. An die Stelle von Karikatur und Klassenkampf trat eine surrealistische Bildwelt. Zwar ging der Künstler noch vereinzelt zur Offensive über – beispielsweise im Gemälde „Cain, or Hitler in Hell“ (1944), das den in die Hölle verbannten Nazi-Diktator in die Nachfolge des Brudermörders Kain einreiht. Meist jedoch schlug Grosz nun sanftere Töne an. Im Bröhan-Museum begegnet man regelrecht idyllischen Strandlandschaften oder einer gemalten Reflexion über das Künstlerdasein („The Painter of the Hole II”, 1950). Was das Spätwerk angeht, so vermögen die frechen Collagen, die schon auf die Pop Art verweisen, mehr zu überzeugen als die teils etwas flügellahm wirkenden Gemälde.

Auf einen Blick

Ausstellung: George Grosz in Berlin
Ort: Bröhan-Museum, Landesmuseum für Jugendstil, Art Deco und Funktionalismus, Schlossstraße 1a, 14059 Berlin (am Schloss Charlottenburg)

Dauer: bis 6. Januar 2019

Internet: www.broehan-museum.de

 

Öffnungszeiten

Dienstag bis Sonntag 10–18 Uhr

 

Katalog

George Grosz in Berlin, Tobias Hoffmann und Ralph Jentsch (Hrsg.), Hardcover, 176 S., 145 Farb- und 16 S/W-Abb., 26 x 22 cm, Kerber, ISBN 9783735605207

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Profile

Das Bröhan-Museum – Berliner Landesmuseum für Jugendstil, Art Deco und Funktionalismus – ist nach seinem Gründer Karl H. Bröhan (1921–2000) benannt. Als leidenschaftlicher Sammler und großer Kenner von Jugendstil, Art Deco und der Kunst der Berliner Secession eröffnete Karl H. Bröhan 1973 ein Privatmuseum in einer Dahlemer Villa. Anlässlich seines 60. Geburtstags schenkte Bröhan die Sammlung dem Land Berlin. 1983 wurde das Bröhan-Museum in den heutigen Räumen eröffnet, die zum Ensemble des Schloss Charlottenburg gehören und ursprünglich für das Garderegiment errichtet wurden. Seit 1994 ist das Bröhan-Museum ein Landesmuseum.

www.broehan-museum.de

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