Ausstellung

Che Guevara und Mondflug

68. Pop und Protest im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe

Kaum eine Wohngemeinschaftsküche kam Ende der 1960er-Jahre ohne dieses Requisit aus: Das Che-Guevara-Plakat wurde zum Inbegriff einer Epoche. Es zeigt, effektvoll ins Format gesetzt, mit entschlossenem Blick und fliegenden Haaren, das Gesicht des lateinamerikanischen Guerillaführers. Die leichte Untersicht entrückt und verklärt das schöne Männergesicht und wer mag, kann im Umriss der lässig aufgesetzten Mütze den Anklang eines Heiligenscheins ahnen. Statt einer himmlischen Corona prangt dort freilich das kommunistische Symbol des fünfzackigen roten Sterns

Der Entwurf des Grafikers Gert Wiescher (*1944) – auf Basis einer knapp zehn Jahre zuvor aufgenommenen Fotografie– ist im Grunde einfarbig, nämlich schwarz auf rotem Papier, was die im schwarzen Druckgang bloß ausgesparte Sternform zu einem leuchtend roten Zeichen macht. Die Botschaft wird verstärkt durch die Fußzeile, die aufgrund der geringen Zeichenzahl auf voller Breite zu auffälliger Größe kommt: „Viva Che“ wird dort verkündet, interessanterweise ohne das eigentlich zu erwartende Ausrufezeichen und so wohl umso selbstverständlicher den Konsens von Macher, Käufer und Betrachter befestigend.

Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe nimmt die Tatsache, dass diese Zeit inzwischen ein halbes Jahrhundert zurückliegt, zum Anlass einer großen Ausstellung. Unter der knackigen Titelzeile 68. Pop und Protest versammelt das umtriebige Haus gleich neben dem Hauptbahnhof eine wunderbare, bunte und auch gelegentlich bizarre Sammlung von Exponaten: Bilder, Texte, Möbel, Designobjekte, Mode, Fotos und Filmausschnitte. Und nicht zu vergessen: den Sound von 68! Die Exponate stehen aber nicht als rein ästhetische Phänomene für sich, sondern werden in der Erzählung der Ausstellung zu Bausteinen des Bildes einer Epoche.

Dass damals ein politisches Statement wie das erwähnte Plakat in das private Wohnumfeld gelangt, ist ein deutliches Zeichen für die Politisierung vor allem jüngerer Menschen. Das Jahr 1968 wird erschüttert von dramatischen Ereignissen weltweit: Der immer erbitterter geführte Krieg in Vietnam, der sowjetische Einmarsch in die reformorientierte Tschechoslowakei, Studentenproteste in den USA und Europa, Generalstreik in Frankreich, die Fahrpreiserhöhung der heimischen Straßenbahn … Alles scheint mit allem zusammenzuhängen, eine weltweite Revolution bahnt sich an. Die ist aber nun keineswegs im engeren Sinne politisch gemeint, wie es das Poster des Kommunisten Guevara zu suggerieren scheint, sondern viel breiter gedacht, nämlich als kulturelle Revolution aller Lebensbereiche. Zwar proklamiert der Schriftstellers Peter Weiss: „Die Straße ist unser Massenmedium“ – wen dieses „wir“ aber genau meint, das bleibt im Ungefähren. Kundgebungen mit phantasievollen Slogans, Sit-Ins und Happenings machen die Grenzen zwischen Politik, Kultur und Kunst durchlässig: Protest ist überall! Die Hamburger Ausstellung zeigt, was die Menschen bewegt in diesem Jahr 1968: Das wachsende Bewusstsein für eigene Rechte und die Einforderung einer Bühne, diese öffentlich zu vertreten.

Protest und Aufbegehren gegen verkrustete Autoritäten finden neue Formen in sämtlichen Disziplinen: Poster in Massenauflagen, „progressive“ Musik, unkonventionelle Mode und entfesseltes Design öffnen Türen in bis dato unbekannte Räume. Apropos Raum: Ein unglaubliches Raumkunstwerk befindet sich seit 2012 als Period Room im Besitz des Museums für Kunst und Gewerbe. Die Kantine, die der dänische Designer Verner Panton (1926–98) für die Zentrale des Spiegel-Magazins 1969 entworfen hatte. So deutlich wie kaum sonst wird hier, dass in dieser aufbruchsbegeisterten Zeit alles, aber auch alles anders werden soll. Eine All-over-Farbwelle in schrillen Rot-, Orange- und Violett-Tönen schwappt über Tische und Wände, Möbel und Lampen. Wer hier seine Mittagspause verbringt, kommt wohl wirklich ganz von selbst in den psychedelischen Groove … Auf nicht minder synästhetische Wirkung zielen grafische Entwürfe für Schallplattencover und Konzerte. Von Drogen inspiriert, könnte man meinen, wabern ineinander verschlungenen Linienmuster um das (ebenfalls zum Markenzeichen gewordene) Antlitz von Jimi Hendrix. Dass der amerikanische Musiker seine Band Experience nannte, macht unmissverständlich klar, dass hier kein bloßer Konzertbesuch oder eine Schallplatte verkauft wird, sondern mehr, ein umfassendes neues Lebensgefühl. Auch wer letztendlich doch ganz brav in der Etage wohnen blieb und montagmorgens pünktlich ins Büro strebte, konnte so wenigstens seinen kleinen Hauch der Gitarren zertrümmernden Rebellion erhaschen…

Von heute gesehen ziemlich ironisch, dass in dieser autoritätskritischen Epoche der Starkult gerade um populäre Musiker nie gekannte Ausmaße erreicht. Aber, und das ist wiederum ganz typisch für diese wilde Jahr, die Rebellion nimmt sich selbst nicht gar so ernst: 1968 erscheint Frank Zappas Album We’re Only In It For The Money, dessen Cover eine Parodie der im Vorjahr veröffentlichten Beatles-LP Sgt. Pepper darstellt. Dem hippieseligen Optimismus der Liverpooler freilich setzt der schräge US-Soundmagier die ironische Volte entgegen – oder doch eher den blanken Zynismus?

Auch das Produktdesign des Pop fragt: Rückzug ins Kuschelige oder mit Elan vorwärts ins Weltall? Die Regression in quasi intrauteriner Geborgenheit versprechen nicht nur Pantons durchgeknallte Wohnlandschaften – auch das so ein Schlüsselbegriff –, sondern ansatzweise (und weitaus erschwinglicher als die Radikallösungen des Dänen) – auch schon Möbel wie der Sessel Sunball der Firma Rosenthal (Entwurf Günter Ris (1928–2005), Herbert Selldorf (1929–2012), produziert 1969–71). Der Einsatz innovativer Werkstoffe wie Polyester, Aluminium und Polyurethanschaum ist dabei technisch unverzichtbar, aber natürlich auch hochsymbolisch für quietschfidele Zukunftsfreudigkeit dieser Zeit (Umwelt? Welche Umwelt?). Ähnlich auch Gaetano Pesces (*1939) von Cassina gefertigter Armsessel Donna UP5 nebst Fußteil Bambino UP6. Möbel haben menschliche Namen, aber sie kommen mit Zunamen wie Roboter daher … Die (weiblichen) Besitzer dieser Möbel, so beweglich wie ihre Einrichtungsstücke, tragen einen Minirock von Missoni oder ein Papierkleid, wahlweise geziert mit Flowerpower oder kühlseriellen Tomatensuppendosen (Campbell’s via Warhol). Wenn man ein Kleid aus Papier machen kann, warum dann nicht ebenso aus Metall, so scheint sich Paco Rabanne gesagt zu haben. Aber, versteht sich, nicht als Revival der ritterlichen Rüstung, sondern ganz sexy, ziemlich kurz und mit Zwischenraum zum Durchzuschauen, aus kleinen Plättchen, die mit Ringen locker verbunden sind.

Dieses Kleid wäre vielleicht am Platz in der Raumstation, die den so faszinierenden wie beklemmenden Handlungsort bildet im 1968 erschienenen Film 2001: A Space Odyssey (deutsch: Odyssee im Weltraum). Stanley Kubrik ist in seiner Datensetzung nicht nur (unfreiwillig, wie zu vermuten ist) Namensgeber für einen bald sehr erfolgreichen Versandhandel für Bücher- und Schallplatten geworden, sondern knüpft mit 2001 an die allgemeine Begeisterung für das längst eingeläutete Space Age an. Der Regisseur beschränkt sich aber nicht auf die bloße technische Utopie, sondern verknüpft diese mit philosophischer Reflexion über das Wesen des Menschen, des Raumes, der Zeit und überhaupt … Auch wenn man das ein wenig verquast finden mag, Kubricks Überblendung vom in mörderischer Absicht geschleuderten Knochen auf die majestätisch im All schwebende Raumstation ist zweifellos genial!

Künstlerische Formexperimente, Sitzsäcke, Neuer deutscher Film von Kluge bis Fassbinder, eine theatralische Publikumsbeschimpfung von Jungstar Handke, ein von schriller werdender Werbung – Charles Wilps (1932–2005) kesse Nonnen im Afri-Cola-Rausch! – befeuerter Konsum, sexuelle Befreiung, undundund… Die Ausstellung im Hamburger MKG bietet reichlich Futter für Augen und Ohren, hält aber auch immer wieder inne mit reflektierenden Texten, die nachdenken lassen, was vom Jahre 1968 ausgegangen ist an Trends, die Wirkung bis heute haben – und solchen, die sich als traurige Sackgassen erwiesen (die Begeisterung für Drogen wäre da ein Beispiel).

 

Auf einen Blick:

Ausstellung
68. Pop und Protest
Ort: Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Steintorplatz, 20099 Hamburg
Dauer: bis 17. März 2019
Internet: www.mkg-hamburg.de

Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag 10–18 Uhr, Donnerstag 10–21 Uhr

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Mit rund 500.000 Objekten aus 4.000 Jahren Menschheitsgeschichte gehört das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MKG) zu den bedeutendsten Museen für Kunst und Design. 1877 eröffnet verfolgt das MKG die große Erzählung menschlicher Kreativität und greift in spektakulären Sonderausstellungen aktuelle und kulturhistorische Themen auf. Schauen über Tattoos, Comics oder Animation, über Plastikmüll oder die Schattenseiten der Textilindustrie, über Modeikonen wie Coco Chanel und Alexander McQueen, das Design großer Produktmarken, über das Verhältnis von Tier und Mensch oder über die Rolle der Medien in Revolutionen machen das MKG zu einem der beliebtesten Museen Hamburgs.

[Foto: Marcelo Hernandez]

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