Ausstellung

Alte Meister, junge Jahre

Baselitz, Richter, Polke und Kiefer in den Deichtorhallen Hamburg

 

Georg Baselitz. Gerhard Richter. Sigmar Polke. Anselm Kiefer. Vier Namen, vier weltbekannte Künstler, deren Renommee in der Geschichte der bildenden Künste Deutschlands wohl einzigartig ist. Den Grundstein für ihre nationale wie internationale künstlerische Reputation legten sie mit ihrem Frühwerk, das in den spektakulären 1960er-Jahren entstand – jenem Jahrzehnt der Herausforderungen und Umbrüche, der Utopien und Neuorientierungen, der Reaktion und Rebellion. Heute sind die ehemaligen Provokateure längst kunsthistorisch etabliert.

Vom 13. September 2019 bis zum 5. Januar 2020 ist in den Deichtorhallen Hamburg eine große Ausstellung zu sehen, die einen neuen und umfassenden Blick auf die frühen Werke der heutigen Malerstars erlaubt. „Die jungen Jahre der Alten Meister. Baselitz – Richter – Polke – Kiefer“ entstand in Kooperation mit der Staatsgalerie Stuttgart und wurde im Frühling und Sommer 2019 zuerst dort präsentiert. Zu verdanken ist die Schau Gastkurator Götz Adriani, der nicht nur ein Weggefährte ihrer Generation, sondern auch mit den Protagonisten der Ausstellung freundschaftlich verbunden ist.

Jeder der vier Künstler hat auf seine Art die damalige ästhetische Vorherrschaft der Abstraktion überwunden und auf individuelle Weise in seinen Werken
das gesellschaftliche und politische Spannungsfeld der jungen Bundesrepublik verdichtet. „Obwohl sich alle vier selbst unpolitisch nennen, prägte und prägt ihre Kunst vor allem im Ausland das positive Bild eines neuen, anderen Deutschlands. Ihre figurativen Gemälde fordern in den 1960er-Jahren die damalige Vorherrschaft der Abstraktion heraus; sie zeigen Zerrissene, geteilte Helden, die sich nur noch selbst befriedigen können. Sie führen die Absurdität und Leere des allseits verlockenden Konsums vor. Heroische Landschaften legen die tiefen Wurzeln des sogenannten Dritten Reiches in der deutschen Geschichte offen, und nicht nur Gerhard Richters »Onkel Rudi« beweist, wie politisch das Private sein kann. Wie jede große Kunst kondensieren diese Werke Atmosphäre und Zeitgeist der aufregenden Umbruchjahre besser als jede Dokumentation es vermag“, betonen Christiane Lange, Direktorin der Staatsgalerie Stuttgart, und Dirk Luckow, Intendant der Deichtorhallen Hamburg, in ihrem Vorwort zum Ausstellungkatalog.

Das Frühwerk der Künstler weist in die Zukunft und zeigt mit herausragenden Werken die Wurzeln ihres außerordentlichen Schaffens. Zu sehen sind „so provozierende Bilder wie Baselitz’ Große Nacht im Eimer von 1962/63, das sich gegen die Prüderie und die Verdrängungen der Nachkriegszeit richtet. Oder Der Wald auf dem Kopf von Baselitz aus dem Jahr 1969, welches das erste Gemälde dieser Art der Motivumkehrung ist, ein absolutes Novum in der Geschichte der Kunst“, so Lange und Luckow. „Von Gerhard Richter verzaubern uns frühe Inkunabeln, darunter etwa Schloss Neuschwanstein aus dem Jahr 1963. Sein an der Fotografie orientierter Malprozess machte die Malerei modern und erneuerte sie zwischen Abbild und autonomer Farbsetzung. Seine Bilder setzen politische Ausrufezeichen, wirken realitätsnah und zugleich als distanzierte Historienmalerei. Die Art, wie Richter mit dem Täuschungsprinzip in der Malerei im Moment seiner Anwendung umgeht, ist bis heute einzigartig. Neben den beiden gilt Sigmar Polke als ein virtuoser Erneuerer, indem er einen anderen Zugriff auf die Malerei schuf: Wie er in seinen Werken die Druckmedien vorführt, Stoffbilder benutzt, wie er in Moderne Kunst von 1968 das Informel gegen sich selbst ausspielt, mit Witz verschiedene Bildebenen thematisiert, ist von größter Finesse und geradezu barocker Lust. Die Aktion Besetzungen (1969) von Anselm Kiefer sowie Die Heroischen Sinnbilder oder Werke wie Glaube, Hoffnung, Liebe von 1973 beschwören erstmals seine düstere Conditio Humana mit den großen Themen wie der nationalen Identität oder dem Trauma der Gesellschaft.“

Abgesehen von Sigmar Polke, der 2010 verstorben ist, unterstützten alle drei Künstler das Ausstellungsvorhaben nicht nur mit singulären Leihgaben aus ihrem Besitz, sondern auch durch die Bereitschaft, in ausführlichen Gesprächen und Interviews auf ihr jeweiliges Frühwerk und dessen besonderen Stellenwert einzugehen. Diese sind im umfangreichen Ausstellungskatalog erschienen. Mit über 100 Werken stellt die Ausstellung das Frühwerk aus den folgenden Schaffensperioden der Künstler vor: Die Jahre 1959–1969 bei Georg Baselitz, 1962–1969 bei Gerhard Richter, 1963–1969 bei Sigmar Polke und schließlich 1969–1977 bei Anselm Kiefer. Die Deichtorhallen begehen mit dieser Ausstellung am 9. November 2019 nicht nur ihr 30 jähriges Bestehen, sondern feiern auch 30 Jahre deutscher Einheit. Die Ausstellung steht unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident FrankWalter Steinmeier.

Auf einen Blick:

Ausstellung
Baselitz – Richter – Polke – Kiefer
Die jungen Jahre der Alten Meister

Dauer
Bis 5. Januar 2020

Kontakt
Deichtorhallen Hamburg GmbH
Halle für Aktuelle Kunst
Deichtorstraße 1 − 2, 20095 Hamburg
www.deichtorhallen.de

Öffnungszeiten
Dienstag bis Sonntag 11 Uhr bis 18 Uhr
Montags geschlossen
Jeden 1. und 3. Donnerstag im Monat 11 bis 21 Uhr

Katalog
Götz Adriani: Baselitz, Richter, Polke, Kiefer – Die jungen Jahre der Alten Meister. Herausgeber: Staatsgalerie Stuttgart; Deichtorhallen Hamburg, erschienen im Sandstein Verlag, 342 Seiten, 360 Abb., farbig und s/w 30,5 x 23,5 cm, Festeinband, 
Erscheinungsdatum 12. April 2019.

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