Buchtipp

Körpergefühl als Sujet und Lebensthema

In einer minutiösen Biografie zeichnet die Wiener Kunstwissenschaftlerin Natalie Letter das bewegte Leben der feministischen Malerinnen-Ikone Maria Lassnig nach.

„Als ich müde wurde, die Natur analysierend darzustellen, suchte ich nach einer Realität, die mehr in meinem Besitz wäre als die Außenwelt, und fand das von mir bewohnte Körpergehäuse als die realste Realität am deutlichsten vor.“ So hat Maria Lassnig, eine der wichtigsten Malerinnen unserer Zeit, die Bewusstwerdung des eigenen Körpers beschrieben. Ein Satz, der das Leitmotiv ihrer Malerei seit den 1960-er Jahren treffend wiedergibt.

„Ich habe entdeckt, dass ich malen möchte, was ich spüre“, sagte sie an anderer Stelle und entwickelte, lange bevor die feministische Body Art en vogue wurde, ihre body-awareness-Bilder, in denen sie ihre Körperwahrnehmungen frei von Tabus auf die Leinwand brachte. Für ihre „Körpergefühlsbilder“ erfand Maria Lassnig Krebsangstfarben, Schmerzfarben, Druckfarben, Spannungsfarben, Dehnungsfarben, Kälte- und Wärmefarben. Schonungslos im Umgang mit Alter und Verfall stellt sie die eigene Körperlichkeit in unzähligen Selbstporträts dar – mal in gedeckten Farben, mal schreiend bunt. Zarte Liniengeflechte oder pastose Farbaufträge lassen die Arbeiten zwischen eindimensionaler Figuration und nahezu abstraktem Surrealismus changieren. Virtuos beherrschte die Künstlerin das Instrumentarium der Malerei, jedoch standen Technik und Gestus nicht im Mittelpunkt ihres Werkes. Sie dienten ihr lediglich als Gestaltungsmittel, um die Form, die erkämpft werden musste, in die Sprache der Kunst zu übersetzen – um der eigenen Wahrheit, Gefühlen und Stimmungen Ausdruck zu verleihen.

Nach 1945 erstmals mit der Moderne konfrontiert, findet Maria Lassnig in Paris gemeinsam mit dem um zehn Jahre jüngeren Arnulf Rainer Anschluss an die internationale Kunst. Von nun an wird sie immer zur Avantgarde gehören. 1968 geht sie nach New York und stürzt sich, gemeinsam mit Louise Bourgeois, in die dort explodierende Frauenbewegung. Dennoch behauptete sie: „Meine Kunst ist nicht geschlechterspezifisch. Mit dem Begriff ‚weibliche Kunst‘ kann ich nichts anfangen.“ Zurück in Wien bekommt sie hier als erste Frau eine Professur für Malerei – und macht mit zahlreichen Einzelausstellungen international Furore, von der Biennale in Venedig, für die sie gemeinsam mit Valie Export 1980 den österreichischen Pavillon gestaltete, über die documenta 7 bis zum MoMA in New York. Doch erst in den letzten Jahren gelang der über Siebzigjährigen der Durchbruch zu einem breiteren Publikum.

Vor drei Jahren starb Maria Lassnig im Alter von 94 Jahren. „Die malende Tigerin“ hat die Zeitschrift „Emma“ sie genannt. Eine Künstlerin, der es der feministische Gehalt ihrer Kunst nicht unbedingt leicht gemacht hat. Nun ist eine Biografie der produktiven Malerin erschienen. Natalie Lettner erzählt in dieser exzellent recherchierten Lebensgeschichte erfrischend lebendig das mehr als neun Jahrzehnte umspannende Leben einer außergewöhnlichen Frau und Künstlerin – und entwirft wie nebenbei ein Kaleidoskop des 20. Jahrhunderts und seiner Kunstrichtungen.

Noch bis zum 27. August zeigt die Albertina in Wien unter dem Titel „Maria Lassnig ­ Zwiegespräche. Retrospektive der Zeichnungen und Aquarelle“ Handzeichnungen der Künstlerin.

Die Autorin
Natalie Lettner, Kultur- und Kunstwissenschaftlerin, arbeitet seit 2000 im Kunsthistorischen Museum Wien, Lehraufträge in Salzburg, Wien u. New York, sowie Forum Alpbach. Forscht an den Schnittstellen zwischen prämoderner und zeitgenössischer Kunst sowie zwischen sogenannter Hoch- und Populärkultur. Publikationen u.a.: Bilder des Bösen? Teufel, Schlange und Monster in der zeitgenössischen Kunst (2015).

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