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Teil 2 – Die Geschichte des Papiers in Europa


Teil 1 unserer kleinen Reihe zum Thema Papier ging zurück zu den Anfängen der Papierherstellung. Der 2. Teil behandelt die ersten Papiermühlen in Europa. Sie leiten den Siegeszug des Papiers ein, der bis heute ungebrochen anhält.

Die Papiermanufakturen von Cordoba, Sevilla und Valencia in Spanien legen im 12. Jahrhundert den Grundstein für die Papierherstellung in Europa. In Fabriano (Italien) entsteht Mitte des 13. Jahrhunderts die erste europäische Papiermühle. Die hier ansässigen Papiermacher führten bei der Produktion und für den Gebrauch von Papier entscheidende Änderungen gegenüber der Papierherstellung nach chinesischem Vorbild ein und orientierten sich dabei an orientalischen Methoden. Noch heute ist der Einfluss der arabischen Papierherstellung auf die europäische an Fachbegriffen wie den für das Papiermaß „Ries“ (von arab. rizmah) ablesbar. Das Papierries zählt fünfhundert Bögen, also zwanzig Mal fünfundzwanzig Blätter.

Als Ausgangsmaterial für die Papierherstellung dienten in Europa Lumpen aus Baumwolle, Hanf, Flachs und Leinen, die von Lumpensammlern angeliefert wurden. Diese Hadern wurden in der Papiermühle sortiert, von Fremdstoffen getrennt und nicht in Handarbeit, wie bis dato üblich, sondern mit einem Sensenblatt zerrissen und anschließend mazeriert. Eine weitere Neuerung lag im Zerstoßen der Lumpen. Auch dieser Vorgang wurde mechanisiert. Erstmals kamen Stampfwerke zum Einsatz, die über Wassermühlräder angetrieben wurden. In Ermangelung von Bambus und Schilf musste man in Europa auf andere Materialien zur Ausstattung der Schöpfformen zurückgreifen und stattete diese mit Drahtgeflechten aus, die den Vorteil hatten, dass das Wasser schneller ablief. Auf sie nähte man außerdem die Wasserzeichen auf, die sich im Gegenlicht als hellerer Bereich auf dem Papierbogen abzeichnen. Sie sind ein typisches Erkennungsmerkmal europäischer Papiere und dienten noch bis in das 20. Jahrhundert hinein ebenso als Erkennungszeichen der Papierfabriken wie als Formatzeichen. Mit Papierpressen nach dem Vorbild der antiken Kelter wurde das Papier dann durch Schraubpressdruck getrocknet, ebenfalls eine Erfindung der europäischen Papiermacher. Darüber hinaus wurde das Beschreiben der Oberfläche vereinfacht, indem in einem nachgeordneten Arbeitsschritt die faserige Papieroberfläche mit Tierleim geschlossen wurde.

Der Ratsherr und Kaufmann Ulman Stromer gründete 1389/1390 an der Pregnitz die erste deutsche Papiermühle. Aufgrund des Wasserbedarfs, aber auch wegen des Gestanks und des Lärms wurde die Hadernmühle außerhalb der Nürnberger Stadtmauern errichtet.
© Verband Deutscher Papierfabriken e.V. (VDP)

All dies waren Voraussetzungen, die die Papierherstellung verbilligten und ursächlich zur Verdrängung des Pergaments beitrugen. Schon bald wurden auch die ersten Papiermühlen in Süddeutschland (Gleismühle, Nürnberg 1390), in der Schweiz (Marly FR, 1411) und in Österreich (St. Pölten, 1469) gegründet. In dieser Zeit war Papier ein Luxusgut, und auch als mit der Entwicklung der Buchdruckerei (1445), der Erfindung des Kupferstichs (1446) und der Entwicklung der Städte samt ihrer Verwaltung der Papierbedarf drastisch stieg und somit auch die Zahl der Papiermühlen anwuchs (im Jahr 1500 = 60 bzw. im Jahr 1600 = 200), war der papierlose Alltag für die meisten Menschen noch immer Normalität. Papier wurde für Bücher verwendet und diente als Schreibmaterial, Lesen und Schreiben aber waren nur einem kleinen Teil der Bevölkerung gegeben.

Schematische Darstellung des Stampfwerks einer Papiermühle © Deutsche Fotothek
Trockenböden mit Lüftungsklappen sind typisch für die Architektur einer Papiermühle, hier das Museum Papiermühle Homburg
Darstellung eines Holländers der ersten Generation

Schöpfer und Gautscher

Lange Zeit änderte sich auch die Papierherstellung nicht. Papier wurde bis zum Ende des 18. Jahrhunderts von Hand hergestellt. Wie fein und gleichmäßig es wurde, hing neben der Qualität des Faserbreis und der Siebe auch von der Erfahrung der Papiermacher an der Bütte ab. An dem mit Blei ausgekleideten Bottich aus Holz oder Stein, in dem sich das Faser-Wasser-Gemisch befand, arbeiteten sie Hand in Hand.

Der Schöpfer tauchte das Sieb, ein Metallgeflecht über einem Holzrahmen, und den Deckel, einen Rahmen aus Holzleisten, der das Herabfließen der Fasermasse vom Sieb verhindern sollte, in die Bütten-Pulpe. Beim Herausheben, dem Schöpfen, bildete sich ein Faservlies. Dabei musste er darauf achten, dass sich die Fasern auf dem Sieb möglichst gleichmäßig verteilten und die Bögen die gleiche Dicke hatten. Entscheidend dafür war, wie viel Stoff auf das Sieb geschöpft und wie es bewegt wurde. Sobald er den Deckel vom Sieb abgenommen hatte, schob der Schöpfer das Sieb über einen Steg, der auf der Bütte lag, zum Gautscher. Während dieser den Papierbogen auf ein Filztuch abdrückte, abgautschte, legte der Schöpfer den Deckel auf ein zweites Sieb und tauchte es erneut in die Fasermasse. Auf diese Weise konnten er 3.000 bis 5.000 Blatt Papier am Tag herstellen. Neben der Bütte türmte sich in kurzer Zeit ein Stapel aus Filzen und Papierbögen auf, der, sobald ein Pauscht (181 Blatt Papier und 182 Filzlagen) erreicht war, von Schöpfer und Gautscher in einer großen Presse und unter Mithilfe mehrerer Männer gepresst werden musste. Dabei durfte der Druck nicht allzu schnell erhöht werden, damit das Papier nicht riss. Anschließend trennte der Leger Papier von Filz, das Papier wurde nochmals gepresst und in den Trockenraum gebracht, wo es zunächst in mehreren Bögen übereinander aufgehängt wurde. Auch der Trocknungsprozess, der zwischen zwei Tagen und zwei Wochen liegen konnte, erforderte einiges Fingerspitzengefühl und war mittels Lüftungsklappen und Fenster zu beeinflussen. Trockneten die Papiere zu schnell, entstanden Beulen und Falten.

Holländer und Holzschleifer

Diese Arbeitsabläufe wurden mit den Erfindungen, die die industrielle Revolution mit sich brachte, tiefgreifend verändert. Schon der sogenannte Holländer hatte um 1670 die Produktivität der Papiermühlen erhöht. Die Maschine kombinierte Schlag- und Schneidewirkung bei der Aufbereitung der Fasern für das Papier. Das steigerte nicht nur die Produktivität, sondern konnte auch, je nach Einstellung der Messer, den Charakter der Papiere beeinflussen.

1798 wurde mit der Langsiebmaschine von Louis-Nicolas Robert die maschinelle Fabrikation des Papiers ermöglicht. Sie machte das Papierschöpfen überflüssig, indem der Papierbrei auf ein rotierendes Metallsieb gegossen wurde. Dieses Verfahren wurde immer weiter verfeinert und ist heute das geläufigste. Die modernen Langsiebmaschinen ungeheuren Ausmaßes übernehmen nahezu jeden Produktionsschritt, von der Herstellung der Fasermischung über die Trocknung des Papiers bis zum Aufrollen.

Entscheidend für die Entwicklung des Papiers zum Massenprodukt war jedoch die Erschließung eines neuen Rohstoffs, denn immer wieder waren die Papiermühlen mit einem Mangel an Lumpen konfrontiert. Bereits René Antoine Ferchault de Réaumur hatte an Holz als Alternative gedacht, doch erst Friedrich Gottlob Keller erfand 1843 das Verfahren zur Herstellung von Papier aus Holzschliff, das von dem Papierfabrikanten Heinrich Voelter weiterentwickelt und umgesetzt wurde.

Im Zuge der Massenproduktion von Papier hat sich das weltweite Abholzen der Wälder für die Papierproduktion insbesondere seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend als problematisch erwiesen, und die Holz- beziehungsweise Papierpreise sind in den letzten Jahren in die Höhe geschnellt. Als Reaktion darauf nimmt der Anteil von wiederverwertetem Papier stetig zu, und die Techniken werden verfeinert. Außerdem lässt sich feststellen, dass sich die Bedeutung von Papier als Informationsträger verändert, ausgerechnet in dem Bereich also, wo es über Jahrhunderte hinweg eine wichtige Rolle spielte: Bibliotheken werden heutzutage digitalisiert und Informationen via Computer den Usern auf der ganzen Welt verfügbar gemacht; für e-books und digitale Zeitungen wird kein Papier mehr benötigt.

Holzschleifer im Industriemuseum „Alte Dombach“, Bergisch Gladbach
© Frank Vincentz

Papier und Kunst

In der Kunst spielte Papier lange Zeit als Zeichen-, Schreib und Malgrund eine Rolle. Das Verhältnis einiger Künstler zu ihren Papierlieferanten war so eng, dass Wünsche erfüllt wurden. So etwa kreierte der Papierproduzent von Jean Auguste Dominique Ingres (1780–1867) für den Künstler ein Papier mit hoher Speicherkraft, auf dem kleinste Nuancen der Mine oder der Pigmente konserviert wurden. Und Edgar Degas (1834–1917) nutzte für seine Serie mit Tänzerinnen die besondere Ästhetik, die sich aus dem Zusammenspiel seiner Pastellmalerei mit Pergamentpapier ergab.

Auch heute noch werden spezielle Künstlerpapiere angeboten, die den Bedürfnissen der Künstler und den speziellen Anforderungen diverser Techniken gerecht werden. Dazu gehören etwa Aquarellpapiere, die sich durch Dimensionsstabilität und Korrekturfähigkeit auszeichnen, Papier mit hohem Flächengewicht für die Öl- und Acrylmalerei oder solche mit unterschiedlichen Körnungen und Weißtönen, auf denen verschiedene Trockenmaltechniken angemessen zur Geltung kommen. Einige Papierhersteller arbeiten nach wie vor mit dem Rundsieb, einem traditionellen Verfahren der industriellen Papierherstellung, das dem handgeschöpften Papier am nächsten kommt und dessen Prinzip seit der Erfindung zu Beginn des 19. Jahrhunderts unverändert geblieben ist.

Daneben erobert Papier die Kunst auch auf anderen Wegen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird die Collage von den Künstlern des Kubismus perfektioniert und fasziniert auch die Dadaisten. Einige Jahrzehnte später wird Papier autark und gewinnt als Vermittler taktiler sinnlicher Strukturen an Bedeutung. Die Beschaffenheit des Materials und seine Wertigkeit wecken das Interesse der Künstler. In den USA entdecken Robert Rauschenberg und Frank Stella die Möglichkeiten des handgeschöpften Papiers. Immer häufiger überschreitet Papier auch seine traditionell zweidimensionalen Grenzen. Via Bildhauerei und Design dringt es seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts unter anderem mit riesigen, raumfüllenden Scherenschnitten und Installationen in den dreidimensionalen Raum vor.

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