Was ist das Geheimnis?
Wir wissen, wie schnell das Smartphone es ermöglicht – fast ohne Eigenleistung –, eine Unmenge an Bildern zu erstellen, bei denen man später nicht mehr weiß, wo das war und warum man sie gemacht hat. Außenstehende sind gelangweilt.
Wer als Maler*in eine Landschaft durchstreift, mag offenen Blicks eine Baumgruppe sehen und sich entscheiden, sie zu zeichnen oder zu malen. Im Moment des Niederlassens auf einem Hocker, der folgenden, konzentrierten Wahrnehmung des Objekts, der gelungenen Versenkung in das Gesehene vollzieht sich ein Prozess der Aneignung des Objekts.
Die Gestalt wird in Gänze wie im Detail wahrgenommen. In der Zeichnung wie in der Farbigkeit. Das „Wie“ der Umsetzung spielt keine Rolle: Die Aneignung dieses Ausschnitts der Realität ist eine Verbindung zwischen Mensch und Natur, die nichts, aber auch gar nichts Gewaltsames an sich hat. Dem Objekt wird nichts genommen. Es wird wahrgenommen in seiner Erscheinung, die im malerischen Akt hinübergleitet in Hand und Kopf des Künstlers.
Ein komplett friedvoller Akt des Dialogs Mensch/Natur, und diese Verbindung ist eine des Glücks.
Why
Es gibt dieses wunderbare Video über den in seine Heimat Yorkshire zurückgekehrten David Hockney, wie er hügelige Landschaften malt. Und wie er sich äußert. Nach langen Jahren in Kalifornien und zuletzt intensiver Beschäftigung mit digitaler Malerei spricht er über die Befriedigung vom Malen vor der Natur
Der konkrete Prozess
Darüber hinaus gibt es einen Mehrwert, der nichts mit dem Bildwerk an sich zu tun hat: Schnelles Erfassen dessen, was man sieht: Perspektive, Architektur, Linien, Farben und Farbzusammenhänge.
Umswitchen, wenn das Licht von warm zu kalt wechselt oder abnimmt. Das blassgraue Ultramarin des Himmels in den Ockerton von Sand und Gemäuern hineinziehen.
Das nennt man Lernen. Künstler lernen immer, ein Leben lang, oder sollten es jedenfalls. Das ist kein pädagogischer Ansatz, sondern unerlässlich.
Farbzusammenhänge entstehen ja nicht willkürlich, sondern folgen einer eigenen Logik, die man begreifen und ersehen muss.
Das Licht
Das Licht ist alles (wie immer). Morgens trüb und flach, am Nachmittag ein subtiles Licht, frühe Dämmerung, plötzlich und schnell. Manchmal bricht noch kurz das Licht durch, aber auch die Schatten haben diese schöne Härte, kaltblau bis ins fast Schwarze hinein.
Drumherum
Ob auf dem Strand mit den wenigen Läufern, herumjagenden Hunden und heftigen Windstößen, oder an der Straßenecke, wo man zwischen parkenden Autos und neugierigen Passanten Ruhe bewahren muss: keine Zeit zu zögern. Keine Vorzeichnung, unperfekt bleiben, detailarm und grob.
In den ersten Semestern des Kunststudiums gab es im Rahmen des Aktzeichnens die sogenannten „Five Minute Sketches“. Alle 5 Minuten – gestoppt – wechselte das Aktmodell die Position. In unzumutbarer Kürze musste die Anatomie – d.h. eine Menge zu verbindender Punkte, Achsen, Verkürzungen erfasst werden.
Die Zeit reichte nie: Es war eine gute Übung.
Exklusive Wahrnehmung
Nie wieder wird das orangefarbene Licht, kurz vor der Dämmerung, auf dieses Stück Hauswand so fallen wie in diesem Moment.
Nicht genau – so.
Was die Malerei alles kann: Sie braucht kein Foto, kein Video, um die Minuten vor diesem einen Moment und den Minuten danach weiterzudenken und weiterzusehen. Das Orange wird ein wenig gezogen, wird im Lauf der Zeit schwächer und verliert sich schließlich im Schatten.
Wetter und Konditionen
Nordseeküste im November, niedrige Temperatur. Nicht unbedingt gemütlich. Kurz: Natürlich spielt die Witterung eine gewisse Rolle. Mit fünf Schichten unter dem Parka sieht man dann eben etwas pummelig aus und büßt in den Armen an Geschmeidigkeit ein. Abgehakt.
Alles muss eher schnell gehen. Da geht nichts geordnet zu, zumal man die Gegend nicht kennt und am Strand plötzlich von der kommenden Flut verdrängt wird. Plötzlich wird der Stiefel von einer kleinen Welle angeleckt, der aufgeweichte Sand lässt ein Bein der Staffelei einsinken. Später wird ein Windstoß die Pappe mit der Leinwand von der Staffelei reißen, natürlich kopfüber, die Schlieren in der Temperamalerei bleiben. Klebeband hilft.
Aber es gilt die Skizze weiterzutreiben, Farben werden angemischt, angesetzt, und man sieht aus den Augenwinkeln, wie wieder eine zügige Welle den Rucksack überspült.
Der Standort muss gewechselt werden. Der Blickpunkt verschiebt sich, die Wolken werden dichter, es wird dunkler, Lichteinschüsse lassen nach. Der Raum verliert an Tiefe.
Ein sehr schöner und erhellender Beitrag!
Vielen Dank für das liebe Feedback! Es freut uns sehr, dass Ihnen der Beitrag gefallen hat. Viele Grüße vom boesner-Team
Wunderbar beschrieben. Ich liebe Ihre Beiträge.
Herzlichen Dank für Ihr tolles Feedback! Es freut uns sehr, dass Ihnen unsere Beiträge gefallen. Wir hoffen, Sie auch weiterhin mit interessanten und inspirierenden Inhalten zu begeistern. Viele Grüße, Ihr boesner-Team
Vielen Dank für diesen Beitrag, er hat mich inspiriert und in gewisser Weise auch befreit. Bisher hatte ich nie den Mut meine eigene Sicht auf die Dinge zu zeigen. Man wird ja schnell als schlecht verurteilt, wenn eine Zeichnung oder ein Bild nicht der üblichen „Realität“ entsprechen.
Herzlichen Dank für Ihre offenen und berührenden Worte! Es ist wunderbar zu hören, dass der Beitrag Sie ermutigt hat, Ihre eigene Sichtweise zu zeigen – der Mut, die eigene Handschrift zu finden und auszudrücken, macht Kunst so einzigartig und wertvoll. Mit besten Grüßen, ihr boesner-Team