Ausstellung

Die feinen Nuancen der Wirklichkeit

Watteaus zeichnerisches Werk im Städel Museum

Er zählt zu den großen Meistern der Zeichnung: Für Antoine Watteau (1684–1721) war das Zeichnen unabdingbare Grundlage seines künstlerischen Schaffens. Mit roter Kreide hielt er schnell und sicher Beobachtungen fest und legte sich ein umfangreiches Repertoire von Motiven an: vor allem Figurenstudien, aber auch Landschaftszeichnungen und Kopien nach Werken anderer Künstler. Dieser reiche Fundus floss in die Kompositionen seiner Gemälde ein. Jetzt widmet das Städel Museum ihm eine monografische Präsentation: „Watteau – Der Zeichner“ widmet sich hierzulande zum ersten Mal explizit dem Phänomen des Zeichners Watteau in seinen vielfältigen Facetten. Die Schau in der Ausstellungshalle der Graphischen Sammlung ist bis zum 15. Januar 2017 zu sehen und versammelt 50 Zeichnungen, ergänzt durch sechs Gemälde des Künstlers sowie eine kleine Auswahl an Zeichnungen von Zeitgenossen und Nachfolgern.

Die Ausstellung entstand in Zusammenarbeit mit dem Teylers Museum im niederländischen Haarlem. Die kostbaren Blätter beider Institutionen – mit insgesamt sieben Arbeiten aus unterschiedlichen Schaffensphasen verfügt das Städel über einen der bedeutendsten Bestände von Watteaus Werk in Deutschland – bilden das Fundament der Schau und werden durch qualitätsvolle Leihgaben aus deutschen, niederländischen, französischen und weiteren europäischen Sammlungen ergänzt. „Der Boden für eine Beschäftigung mit den Werken Antoine Watteaus im Städel Museum wurde schon durch den spektakulären Ankauf des Gemäldes Die Einschiffung nach Kythera (um 1709–1712) im Jahr 1982 bereitet. Mit unserer jetzigen umfassenden Sonderausstellung zu Watteau als bedeutendem Zeichner können wir einen weiteren, zentralen Aspekt in seinem Schaffen herausarbeiten“, so Dr. Martin Sonnabend, Kurator der Ausstellung und Leiter der Graphischen Sammlung bis 1750.

Antoine Watteau wurde 1684 in der flämischen, erst kurz zuvor von den Truppen Ludwigs XIV. eroberten Stadt Valenciennes geboren. Über seine frühe Ausbildung ist nichts bekannt. Um 1702 ging er nach Paris, wo er sich mehrere Jahre als Mitarbeiter bei verschiedenen Künstlern, Ausstattungsmalern und Kunsthändlern durchschlug. Seit etwa 1709 trat er als Schöpfer eigener Gemälde in Erscheinung; 1712 nahm ihn die Pariser Akademie in ihre Reihen auf. Von dieser Zeit an hatte er vor allem bei bürgerlichen Kennern und Sammlern großen Erfolg mit zumeist kleinformatigen Gemälden eines neuartigen Sujets, der Fête galante (galantes Fest). Es handelte sich dabei um Versammlungen junger, elegant gekleideter Frauen und Männer in parkähnlichen Landschaften, die sich unterhalten, musizieren oder die Natur betrachten. Diese Bilder trafen mit ihrer Mischung von Realität und Idealität den Geschmack einer Generation, die die gewichtige, staatstragende Historienmalerei der Epoche Ludwigs XIV. künstlerisch nicht mehr reizvoll fand. In den galanten Festen Watteaus vermischen sich arkadische Themen und Traditionen der niederländischen Genremalerei mit Motiven, die dem Theater der damaligen Zeit entnommen sind, zu einer als frei empfundenen, der sinnlichen Wahrnehmung verpflichteten, sowohl unmittelbar realen als auch künstlerisch durchdrungenen Wirklichkeit. Erst die auf den früh, mit 36 Jahren, an Tuberkulose verstorbenen Watteau folgende Generation sollte daraus die Kunst entwickeln, die später den Namen „Rokoko“ erhielt.

Die Unmittelbarkeit des Zeichnens, das Watteau im Lauf der Zeit durch die Hinzunahme von weißen und schwarzen Kreiden zu einer virtuosen Technik von verblüffender malerischer Wirkung weiterentwickelte, war die Voraussetzung dafür, die feinen Nuancen der Wirklichkeit einzufangen, die in seine galanten Feste eingingen. Schon seine Zeitgenossen erkannten diese Besonderheit und sammelten Watteaus Zeichnungen. Sein innovativer Stil, der sich durch die Verbindung von präziser Beobachtung mit Spontaneität, Leichtigkeit und Intimität auszeichnet, steht in einem deutlichen Kontrast zur strengen Tradition der akademisch ausgerichteten Künstler seiner Zeit. Die neue, virtuose Kunst reflektiert in ihrer psychologischen Einfühlsamkeit den Geist der beginnenden Aufklärung. Die französischen Romantiker und die Impressionisten sahen in Antoine Watteau einen ihrer Vorläufer, und noch heute erscheinen seine Werke, insbesondere die Zeichnungen, von einer erstaunlichen Modernität.

Das Städel Museum besitzt in seiner Gemäldesammlung die früheste Version der berühmten Komposition Die Einschiffung nach Kythera (um 1709–1712), die, auch durch die beiden weiteren Fassungen im Louvre und im Schloss Charlottenburg in Berlin, wohl die berühmteste Schöpfung des Künstlers überhaupt ist. Um dieses Werk, das innerhalb der Ausstellung durch fünf weitere Gemälde ergänzt wird, gruppiert „Watteau. Der Zeichner“ 50 ausgewählte Zeichnungen. Die Präsentation beginnt mit frühen Blättern Watteaus, die Figuren aus der Welt des Theaters, aber auch der Jahrmärkte und Volksfeste zeigen. Seine frühen Studien zum Theater aus den Jahren um 1709 bis 1712 führen thematisch unmittelbar zur Einschiffung (oder Pilgerfahrt) nach Kythera. Neben dem Gemälde aus dem Städel Museum werden in diesem Abschnitt vorausgehende Studien von männlichen und weiblichen Modellen in Pilgerkleidung präsentiert. Auch andere populäre Themen seiner Zeit griff Watteau auf, davon zeugen seine Soldaten- und Jagdszenen. Dass der Zeichner Watteau ein sublimer Meister der Drei-Kreiden-Technik war, zeigen seine Zeichnungen von Mitgliedern einer persischen Gesandtschaft, die 1715 Paris besuchte. Um die gleiche Zeit entstanden Studien der Savoyarden, der bettelarmen Straßendarsteller und -händler der französischen Hauptstadt.

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Profile

Das Städel Museum in Frankfurt am Main ist eines der bedeutendsten deutschen Kunstmuseen. Seine Sammlung umfasst mehr als 4000 Gemälde aus allen Epochen sowie eine umfangreiche Grafische Sammlung, Fotografien und Skulpturen. Die Stiftung erfolgte durch das Testament des Frankfurter Bankiers und Kunstsammlers Johann Friedrich Städel (1815). Der heutige Standort am Museumsufer wurde 1878 bezogen. 1990 kam ein von Gustav Peichl entworfener Erweiterungsbau hinzu. Eine weitere unterirdische Expansion, fertiggestellt 2012, verschaffte dem Städel rund 3000 Quadratmeter mehr Fläche für die Präsentation der Gegenwartskunst. Direktor des Museums ist seit Oktober 2016 Philipp Demandt.

[Foto: Städel Museum, Außenfassade Foto: Städel Museum / Norbert Miguletz]

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