Material & Inspiration

Ein haariges Metier

Zu Besuch in einer Pinsel- und Bürstenmacherei

In Schloss Burg, hoch über der Wupper, betreiben Leonhard und Alrun Zagermann ihre Pinsel- und Bürstenmacher Werkstatt und gehören damit zu den Letzten ihrer Zunft.

Nur noch rund 30 Pinsel- und Bürstenmachereien sind in Deutschland verblieben, schätzt Leonhard Zagermann, die meisten im süddeutschen Raum. „Die Branche ist klein geworden. Vor 40 Jahren gab es noch über 3.000 Handwerksbetriebe.“ Bürsten und Besen aus maschineller Fertigung haben das Handwerk allmählich verdrängt. Zudem wird der Großteil der heute in Kaufhäusern und Supermärkten angebotenen Ware aus Plastik und Kunstborsten hergestellt. Das macht die Produkte noch billiger und hat die Situation für das Handwerk weiter verschärft. Mit dem Verschwinden der Handwerksbetriebe geht aber auch die Fachkenntnis verloren, bedauert Leonhard Zagermann. Er hat sein Metier im väterlichen Betrieb von der Pike auf erlernt und freut sich, wenn er die Leidenschaft für seinen Beruf teilen und sein Wissen an Interessierte weitergeben kann. Viele Jahre war er daher an der einzigen Berufsschule für die Ausbildung zum Bürsten- und Pinselmacher in Bechhofen als Lehrer tätig.

Leonhard und Alrun Zagermann
Leonhard und Alrun Zagermann

 

Die Vielfalt der Materialien und Verarbeitungsmöglichkeiten kennt heute kaum noch jemand

„Die Vielfalt der Materialien und Verarbeitungsmöglichkeiten kennt heute kaum noch jemand,“ stellt er fest. Gerade die Materialkunde aber sei Teil des Handwerks, denn sie ist das A und O einer guten Beratung. Für Leonhard Zagermann macht gerade sie den Reiz seines Berufes aus. „Nur wenn man die Eigenheiten der Borsten, Fasern und Haare kennt, kann man eine Bürste oder einen Pinsel für einen bestimmten Verwendungszweck entwickeln und eine Form finden, die die gewünschten Eigenschaften optimal unterstützt. Das ist eine Herausforderung. Wenn das gelingt, bin ich zufrieden“, sagt er und verweist stolz auf einige Produkte, die er auch in Zusammenarbeit mit Auftraggebern oder anderen Gewerken entwickelt hat, wie die Bürste für feines Haar, deren Holz ergonomisch der Kopfform angepasst ist, der „Schmusewedel“ für die Therapie von Demenzkranken oder der Staubfänger für hohe Decken. Solche Ergebnisse treiben den 79-Jährigen an, noch bis zum 100. Betriebsjubiläum in seiner Werkstatt zu arbeiten – und natürlich der handwerkliche Aspekt, die Freude daran, das Werden eines Objektes von Anfang bis Ende zu kennen und die einzelnen Schritte eigenhändig umzusetzen.

Seit 91 Jahren gibt es Bürsten von Zagermann. 1924 vom Vater in Brandenburg gegründet, siedelten Betrieb und Familie nach dem Zweiten Weltkrieg nach Solingen um. In der Messer- und Klingenindustrie der Stadt, in den Zechen, Stahlwerken und zuliefernden Maschinenbauunternehmen rund um das nahe liegende Ruhrgebiet wurden Besen, Bürsten und Pinsel dringend benötigt. Der industrielle Strukturwandel sorgte für einen Auftragsrückgang, und 1988 zogen die Eheleute in die Räumlichkeiten des schieferverkleideten historischen Kunsthandwerkerhauses der Burg. Zwischen Schraubstock, Abteil- und Schneidemaschine, Drähten, Kämmen und Scheren, umgeben von Vitrinen, Holzregalen und -ständern sind die beiden Arbeitstische das Zentrum des kleinen Werkstattladens. Hier werden die 800 Artikel aus-und hergestellt, die die Eheleute anbieten. Im Fachwerkgebälk lagern die Papiermanschetten mit dem wertvollen haarigen Rohstoff, der hier verarbeitet wird. Während Alrun Zagermann gerade für einen Staubfeger Einzugsdraht abwechselnd um dunkle und helle Ziegenhaarbündel legt, um sie mit dem Bürstenkörper zu verbinden, zupft ihr Mann mit einem groben Eisenkamm die letzte Wolle aus einem Bündel Ziegenhaar. Er behält nur die besten Haare zurück und bringt einzelne überstehende Haare mit der Schere auf die gewünschte Länge. Seine Frau hatte die Idee, die Staubwedel zweifarbig zu gestalten. „Und warum sollte was praktisch ist nicht auch schön sein?“ erklärt sie ihre Überlegung. Der Erfolg gibt ihr Recht: Die schwarz-weißen Staubfeger sind mittlerweile das Markenzeichen der Zagermanns. Daneben bilden Besen und Bürsten für diverse Arbeiten im häuslichen Umfeld, für die Körper- und Tierpflege sowie kosmetische Pinsel, Künstlerpinsel und Pinselsonderanfertigungen für unterschiedliche Berufsgruppen das Kernsortiment.

„Pinsel sind übrigens grundsätzlich aus einem Bund geformt, der in Stielrichtung verläuft, während Bürsten aus mehreren Bündeln bestehen, die in einem bestimmten Winkel zum Trägerkörper verlaufen“, erklärt Leonhard Zagermann den Unterschied. Die Bürstenhölzer stellt er heutzutage nicht mehr selber her, sondern bestellt sie bei spezialisierten Zulieferbetrieben. Auch das Zurichten der Borsten, ein aufwendiger Prozess, bei dem die Borsten gewolft, gewaschen, gekocht und gezupft werden und der früher zum Handwerk gehörte, wird von Fachbetrieben übernommen. Und die hochwertigsten Schweineborsten kommen mittlerweile, ebenso wie das Haar der Kaschmirziege, aus China, da den heimischen Schweinen der Borstenwuchs weggezüchtet wurde und sie darüber hinaus das notwendige Alter nicht mehr erreichen.

Foto: Peter Illing
Foto: Peter Illing
Foto: Peter Illing
Foto: Peter Illing
Foto: Peter Illing
Foto: Peter Illing
Foto: Peter Illing
Foto: Peter Illing
Foto: Peter Illing
Foto: Peter Illing
Foto: Peter Illing

Bürste ist nämlich nicht gleich Bürste!

Das bedeutet aber nicht, dass sich die Arbeit des Pinsel- und Bürstenmachers darauf beschränken würde, das Haar mit dem Träger zu verbinden. Bürste ist nämlich nicht gleich Bürste! Es gibt unendlich viele Einsatzbereiche und Anwendungsmöglichkeiten, die über den Besatz der Bürsten und Pinsel entscheiden. Hier das richtige Material zu finden, ist eine Kunst für sich, erklärt Leonhard Zagermann. Da Ziegenhaar weich ist und einen hohen Fettgehalt hat, ist es ideal für Staubwedel geeignet, denn der Staub bleibt darin am besten haften. Für einen Rasierpinsel bietet sich Dachshaar an: Bei Nässe verdreht es nicht und erzeugt viel Schaum. Bei Scheuerbürsten und Straßenbesen erzielen pflanzliche Faserstoffe gute Ergebnisse, die Härte der Schweineborsten macht sich Zagermann für Kleider-, Reinigungs- und hochwertige Haarbürsten zunutze, und für Künstlerpinsel verwendet er Rotmarderhaar, das viel Farbe aufnimmt und über eine stabile Spitze verfügt. Generell gilt aber auch für die Fertigung von Künstlerpinseln, dass es für jede Technik einen geeigneten Besatz gibt. Voraussetzung ist allerdings, dass man die Eigenarten des Anwendungsbereichs kennt und das passende Haar dazu auswählt. Bei richtiger Pflege hat man viele Jahre lang Freude an handwerklich gerfertigten Bürsten und Pinseln, wissen Leonhard und Alrun Zagermann. Sie haben eine große Stammkundschaft, auch für Reparaturen, und gewinnen immer wieder begeisterte Interessenten hinzu. Sogar international haben sie sich einen Namen gemacht. Das freut Leonhard Zagermann: „Es spricht sich wieder herum, wenn heute noch jemand Qualität herstellt.“

0 Kommentare
Kommentare einblenden

Diese Artikel könnten Sie auch interessieren: