Interview

„Ein kämpferischer Geist im Herzen einer Frau“

Susanna Partschs Biografie von Artemisia Gentileschi

 

Sie führte ein unabhängiges Leben und leitete Werkstätten in Florenz und Neapel, arbeitete für die Könige von Spanien und England und pflegte Kontakte zu Gelehrten ihrer Zeit: Artemisia Gentileschi (1593–um 1654) gilt heute als die wohl berühmteste und bedeutendste Malerin des Barock. Ihr Leben und ihr Werk wurden erst spät wiederentdeckt und gaben vor allem der feministischen Kunstgeschichtsschreibung Anlass zu zahlreichen Interpretationen. In ihrem neuen Buch „Artemisia Gentileschi“ beschreibt Susanna Partsch kenntnisreich das spannende und ausgefüllte Leben einer Kämpferin und Geschäftsfrau, die sich in der männlich dominierten Kunstwelt behauptete, studiert die Dokumente und unterzieht manche Deutungsansätze einer grundlegenden Neubewertung. Für boesner hat Sabine Burbaum-Machert mit Susanna Partsch gesprochen.

Artemisia Gentileschi, Susanna und in beiden Alten, Öl auf Leinwand, 170 x 119 cm, Schönbornsche Kunstsammlung, Schloss Weißenstein, Pommersfelden

Artemisia Gentileschi, Susanna und in beiden Alten, Öl auf Leinwand, 170 x 119 cm
Schönbornsche Kunstsammlung, Schloss Weißenstein, Pommersfelden

Sabine Burbaum-Machert (SB): Liebe Susanna Partsch, zu Beginn des 17. Jahrhunderts gab es nur wenige Künstlerinnen, die zudem von einer „offiziellen“ Ausbildung mehr oder weniger ausgeschlossen waren. Wie und wo hat Artemisia Gentileschi ihre Kunst erlernt, und welches waren die Ausgangsbedingungen für ihre Karriere?

Susanna Partsch (SP): Artemisia Gentileschi war die Tochter eines bekannten römisches Malers, Orazio Gentileschi, der auch mit Caravaggio bekannt war und dessen Helldunkel-Malerei übernahm. Orazio erkannte offensichtlich früh die Begabung seiner ältesten Tochter und ließ sie in seiner Werkstatt lernen, ebenso wie die jüngeren Brüder, die allerdings kein großes Talent zeigten und später eher als Kunsthändler für den Vater tätig waren. Es war in der damaligen Zeit nicht unüblich, dass die ganze Familie in einer Künstlerwerkstatt tätig war, und viele der uns heute bekannten Malerinnen – von denen es übrigens mehr gab, als wir heute allgemein wissen – waren Töchter von Malern.

Nachdem Artemisia 1610 ihr ersten Bild signiert hatte – eine Susanna mit den beiden Alten – hat sie wohl in der Werkstatt des Vaters eigenständig arbeiten können. In Florenz, wohin sie 1613 mit ihrem Mann, dem Apotheker Pierantonio Stiattesi übersiedelte, lebte und arbeitete sie zu Beginn im Haus des Schwiegervaters, einem angesehenen Schneider. Später führte sie eine eigene Werkstatt, wobei ihre Geldgeschäfte vor allem von ihrem Mann erledigt wurden, der sie zu der damaligen Zeit offensichtlich auch beim Verkauf ihrer Bilder untertützte, also eine Art Manager oder Agent war. In Florenz lernte sie schnell bedeutende Maler wie Cristofano Allori und Humanisten wie Michelangelo Buonarroti den Jüngeren, einen Großneffen des berühmten Künstlers, kennen und erfreute sich schon bald erster Aufträge von den Medici, also dem Florentiner Hof.

SB: Der Vergewaltigungsprozess, den ihr Vater Orazio Gentileschi gegen Agostino Tassi anstrengte, steht oftmals im Mittelpunkt der biografischen Deutungen der Malerei Artemisia Gentileschis. Was berichten die Prozessakten darüber? Wie bewerten Sie diesen Sachverhalt und seine Auswirkungen, auch auf die Sicht auf ihr Werk?

SP: Der Prozess und alles, was damit verbunden ist, ist ein sehr komplexes und schwieriges Thema. In der damaligen Zeit war der stupro, also die gewaltsame Entjungferung, die einzige Form der Vergewaltigung, derer ein Mann angeklagt werden konnte. Kläger waren immer die Väter, nie die Opfer. Allerdings gab es unzählige solcher Prozesse, da viele junge Mädchen mit Männern bereits dann intim waren, wenn diese ihnen die Heirat versprochen hatten. Wurde das Heiratsversprechen nicht eingehalten, klagten die Väter und die jungen Frauen wurden von Rechtsbeiständen beraten, was sie zu sagen hätten. Denn sie mussten glaubhaft erklären, dass sie sich zur Wehr gesetzt hätten. Das weiß man, weil sich viele solcher Prozessakten erhalten haben. Und so ist es auch schwierig zu beurteilen, ob der Malerkollege von Orazio, Agostino Tassi – die beiden statteten gemeinsam mehrere römische Paläste mit Fresken aus – Artemisia wirklich vergewaltigt hatte oder ob es sogar eine Verabredung zwischen den beiden Malern gab. Tassi konnte Artemisia jedoch gar nicht heiraten, weil er zuvor bereits in Livorno geheiratet hatte, seine Frau ihn dann allerdings verlassen hatte. Das wusste in Rom allerdings niemand. Als er dann sein Heiratsversprechen zurückzog, kam es wohl zur Anklage. Denn zwischen dem vermeintlichen stupro und der Anklage lagen zehn Monate.

Artemisia war eine der wenigen in diesem Prozess, der von März bis November 1612 dauerte, die bei den einmal getätigten Äußerungen blieb, sich also nicht widersprach, und dabei selbstbewusst auftrat. Von ihren Äußerungen her scheint sie nicht traumatisiert gewesen zu sein, wie vielfach behauptet. Und auch unter der Folter, bei der Schnüre um ihre Finger gelegt und dann zugezogen wurden – eine damals übliche Prozedur, um die Wahrheit herauszufinden – blieb sie standhaft und schleuderte Tassi entgegen: „Das ist also der Ring, den du mir reichst und diese sind deine Versprechungen.“

Man muss auch bedenken, dass diese Prozesse damals nicht öffentlich waren, Artemisia also nicht vor aller Welt vorgeführt wurde. Die immer wieder geäußerte Behauptung, sie habe unter posttraumatischen Bedingungen ihre Bilder gemalt, degradiert sie als innovative Künstlerin, die sie war. Der Prozess hatte meiner Meinung nach keine Auswirkungen auf ihr großartiges Werk, wohl aber die Sicht der Frau, die eine andere war als die der Kollegen. Das sieht man auch ganz besonders an ihrem berühmtesten Bild, Judith enthauptet Holofernes, das in zweifacher Ausführung existiert und bei dem sie die Magd eine aktive Rolle spielen lässt. Diese ist nicht alt und hält nur den Sack auf, wohinein der abgeschlagene Kopf des Feldherrn kommt, sondern eine junge Frau, die sich auf den starken Mann kniet und ihn festhält, während Judith ihre grausige Tat begeht.

SB: Im Sommer 1616 wurde Artemisia Gentileschi in die Florentiner Accademia delle Arti del Disegno aufgenommen. Was bedeutete dies für sie, für Ihren Ruf und für ihre Arbeit?

SP: Die Aufnahme in die Florentiner Akademie bedeutete für Artemisia, dass sie als Künstlerin anerkannt war, eine eigene Werkstatt führen konnte und der Gerichtsbarkeit der Akademie unterstand. Das ging auch damit einher, dass sie viel leichter auf Pump kaufen konnte und das Geld nicht so schnell zurückzahlen musste. In Geldgeschäften waren sie und ihr Mann sehr geschickt und nutzten jede Gelegenheit, Schulden zu machen. Damit waren sie in Künstlerkreisen nicht allein.

SB: Die Publikation von Artemisia Gentileschis Briefen an ihren Liebhaber Francesco Maria Maringhi galt 2011 als Sensation. Wie darf man sich diese Konstellation und ein Liebesverhältnis vorstellen, das trotz Artemisias Ehe mit Pierantonio Stiattesi und über trennende Entfernungen bestand?

SP: Wie genau dieses Liebesverhältnis ausgesehen hat, weiß man natürlich nicht. Es war aber damals durchaus üblich, dass Frauen ein Liebesverhältnis mit höher gestellten Männern hatten, die dann Geld zahlten oder andere Vergünstigungen gewährten. Den Ehemännern war das durchaus recht. Und auch wenn Pierantonio in einem seiner Briefe davon spricht, dass er der gehörnte Ehemann sei, so schrieb er doch vor allem aus Rom viele Briefe an Francesco Maria Maringhi, in denen er um Geld oder anderes bat und Artemisia entschuldigte, dass sie selbst nicht zum Schreiben komme, weil sie so viel zu tun habe. Der Brief­wechsel zwischen Maringhi in Florenz und Artemisia beziehungsweise ihrem Mann dauerte lediglich einige Monate, als das Ehepaar bereits wieder in Rom war. Warum der Briefwechsel abbricht, ob Briefe verloren sind oder Artemisia nicht mehr schrieb, wissen wir nicht. Artemisia und Maringhi hatten jedoch weiterhin Kontakt, wie vielen anderen Indizien zu entnehmen ist, und vielleicht ging er später auch nach Neapel, um mit ihr zusammen sein zu können. Aber das sind Spekulationen.

SB: Wer waren Artemisia Gentileschis Auftraggeber, und wie gelang es ihr, trotz zahlreicher Umzüge ihre Geschäfte und ihre Werkstatt zu führen?

SP: Artemisia war gut vernetzt. Wie bereits erwähnt, hatte sie in Florenz hervorragende Kontakte und hat sich dort entweder selbst gut vermarktet oder mit Hilfe ihres Mannes. Dabei war sie in den Florentiner Jahren auch noch fünfmal schwanger, allerdings überlebte nur eine Tochter das Kindesalter und ein Sohn zog noch mit nach Rom. Die anderen starben wenige Tage nach der Geburt. Möglicherweise hatte sie bereits in Florenz Cassiano Dal Pozzo kennengelernt, der ihr dann in Rom wichtige Aufträge verschaffte: Er stellte den Kontakt zu dem damaligen spanischen Botschafter in Rom her, der bereits in Rom Bilder von ihr kaufte und sie dann später nach Neapel einlud, wo er als Vizekönig der spanischen Krone regierte. In Rom war Artemisia auch schnell in Künstlerkreisen bekannt, die sie in Venedig wiedertraf und durch die sie dort auch in literarische Zirkel kam. In Neapel war sie durch die Einladung des Spaniers gleich am Hof bekannt und dadurch auch in anderen Kreisen. Ihr Vater dürfte eine Rolle bei der Einladung nach London gespielt haben, die sie aber erst Jahre später annahm und dies vielleicht auch auf Drängen von Cassiano Dal Pozzo, da der Papst der dortigen katholischen Königin den Rücken stärken wollte.

SB: Heute sind Artemisas Werke in Museen der ganzen Welt zu bewundern. Sehr häufig malte sie Frauen – warum sind diese Frauen so besonders?

SP: Artemisias Werke fristeten in vielen Museen lange Zeit ein ziemlich kümmerliches Dasein. Denn die Malerin galt eher als „frivole Schönheit“ denn als beachtenswerte Künstlerin. Diese Sicht der männlich dominierten Kunstgeschichte änderte sich erst, als Kunsthistorikerinnen in den 1970er-Jahren des 20. Jahr­hunderts begannen, nach Künstlerinnen zu suchen. Anschließend fanden die ersten Ausstellungen statt und die Malerin erhielt den Platz zurück, den sie bereits zu Lebzeiten und auch noch danach eingenommen hatte als hervorragende Vertreterin ihres Faches.

Frauenfiguren waren in der damaligen Zeit sehr beliebt. In einer Arbeit über Judith und Holofernes-Darstellungen im italienischen Barock werden allein 130 Beispiele aufgeführt. Ebenso verhielt es sich mit den anderen Sujets wie dem der Susanna oder der Bathseba, der Kleopatra oder der Danaë. Andererseits war es zum Beispiel in Rom verboten, mit Aktmodellen zu arbeiten. Doch wer konnte Artemisia verbieten, ihren eigenen Körper zu malen? Und das hat sie immer wieder getan. Außerdem stellte sie zum Beispiel die Susanna aus der Perspektive einer Frau dar. Sie zeigte die Bedrängnis der jungen Frau, aber nicht eine mögliche Lust, die sonst häufig mitschwang. Besonders ist also die Art und Weise der Darstellung, nicht die Themen an sich, die auch von vielen Malerkollegen immer wieder verwendet wurden.

SB: Herzlichen Dank für dieses Interview!


Ein Vortrag von Susanna Partsch im Wallraf-Richartz-Museum über Artemisia Gentileschi ist bei YouTube zu verfolgen.

 

 

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Profile

Susanna Partsch ist promovierte Kunsthistorikerin und erfolgreiche Autorin von Sachbüchern für Erwachsene, Jugendliche und Kinder. Zu ihren Publikationen zählen z.B. „Wer hat Angst vor Rot, Blau, Gelb“ von 2012, „Tatort Kunst“, erschienen 2010 oder „Wer klaute die Mona Lisa“ von 2021. Für ihr Buch „Haus der Kunst. Ein Gang durch die Kunstgeschichte von der Höhlenmalerei bis zum Graffiti“ wurde sie 1998 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet; drei weitere Nominierungen folgten, u.a. 2019 für „Schau mir in die Augen, Dürer“. Die aufregende und bis heute relevante Geschichte von Artemisia Gentileschi beschäftigt sie seit vielen Jahren. Susanna Partsch lebt seit 1985 als freie Autorin in München und hat auch für Kunst+Material schon zahlreiche spannende Beiträge geschrieben

Foto: privat

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Mit nur 23 Jahren wird Artemisia Gentileschi in die Kunstakademie in der männlich dominierten Kunstwelt von Florenz aufgenommen. Erst machten Kunsthistoriker aus ihr eine frivole Schönheit, dann wurde sie von einigen Kunsthistorikerinnen als Feministin bezeichnet, die ein schweres Schicksal trug. Diese Thesen geistern bis heute durch die Literatur – und werden hier zurechtgerückt.

240 S., zahlr. Abb., 16 x 23 cm, geb., dt., Molden Verlag 2023

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