Die Kunst Heiner Meyers
Heiner Meyer nimmt die Bilder, die uns täglich begegnen, und formt daraus seine eigenen Geschichten. Er greift Symbole, Muster und Versprechen aus Werbung, Mode, Film und Konsum auf – Dinge, die uns so vertraut erscheinen, dass wir kaum noch über sie nachdenken. In seinen Bildern tauchen sie jedoch in neuen Zusammenhängen auf. Dadurch zeigen sie nicht nur, was wir sehen, sondern wie wir sehen. Meyers Werke erzählen davon, was uns anzieht, was wir bewundern, wovon wir träumen – und wie wir uns selbst in dieser Bilderwelt bewegen. Jede und jeder erkennt darin etwas anderes, abhängig von den eigenen Erfahrungen, Wünschen und Idealen. Genau diese Offenheit macht für ihn das Erzählen aus: Ein Bild wird erst vollständig, wenn es betrachtet wird.
Sein Zugang zur Kunst entwickelte sich früh. In den 1970er-Jahren arbeitete Meyer eine Zeit lang als Assistent von Salvador Dalí. Diese Begegnung wirkte weniger durch theatrale Exzentrik als durch eine ganz einfache, fast strenge Lektion: Dalí ließ ihn wieder und wieder ein Stück Weißbrot zeichnen. Immer dasselbe Motiv. Immer neu, immer genauer. Diese Lektion zielte nicht auf virtuose Technik, sondern auf Wahrnehmung. Auf Geduld. Auf den Blick. „Hinsehen“ bedeutete, immer wieder zu hinterfragen, was man tut. Diese Liebe fürs Detail spiegelt sich bis heute in Meyers Arbeiten.
Später fand er in der Pop Art eine Bildsprache, die ihm erlaubte, die alltäglichen Symbole unserer Kultur sichtbar zu machen. Pop Art versteht er als eine globale Sprache: Marken, Glamour, Konsum und mediale Oberflächen sind überall erkennbar, unabhängig von Herkunft oder Kontext. Ihn interessiert jedoch nicht die reine Wiederholung der Motive, sondern das, was sie über uns erzählen. Seine Bilder fragen: Was finden wir schön – und warum? Welche Versprechen kaufen wir, bevor wir verstehen, was sie bedeuten? Welche Symbole bestimmen unser Selbstbild, ohne dass wir es merken?
Meyer versteht sich als Chronist seiner Zeit. Seine Beobachtung ist von Humor begleitet – nicht belehrend und nicht distanziert, sondern aus einer Haltung des Mitdenkens heraus. Er betrachtet die Welt, von der er selbst ein Teil ist. Er hält fest, was uns fasziniert, und fragt gleichzeitig, warum es uns fasziniert. Seine Arbeiten besitzen daher eine feine Selbstironie. Sie laden dazu ein, über sich selbst zu lächeln – nicht bitter, sondern mit dem Bewusstsein, dass wir alle an denselben Bildern hängen.
Ein prägnantes Beispiel dafür ist die Skulptur Red Heels vor der Ludwig Galerie Schloss Oberhausen. Aus der großen Distanz wirkt sie zunächst fast abstrakt – eine klare, markante Form im Raum, ein Zeichen. Kommt man näher, beginnt man zu erkennen, dass sie aus einzelnen High Heels aufgebaut ist: Die Kontur öffnet sich, die Struktur wird sichtbar. Steht man schließlich direkt davor, lösen sich die Formen in Fragmente, Kurven, Abschnitte und Überlagerungen auf. Der Blick wandert, statt zu erfassen. Meyer spielt hier bewusst mit Wahrnehmung und mit dem Wechsel zwischen Fernsicht und Nahsicht – sowie mit dem architektonischen Dialog zwischen Skulptur und Museumsgebäude. Was aus der Ferne selbstverständlich scheint, wird im Nahblick komplex und vielschichtig.
Ein weiteres wichtiges Projekt ist New Horizon, bei dem Meyer einen BMW E3 aus den späten 1960er-Jahren in eine fahrbare Skulptur verwandelte. Die künstlerische Gestaltung stammt von Meyer, die Lackierung wurde in enger Zusammenarbeit mit Walter Maurer realisiert, der bereits an mehreren der berühmten BMW Art Cars mitgewirkt hat. Ausgangspunkt war die Idee, das Automobil – ein alltägliches Objekt mit klarer Funktion – in einen Bildträger zu verwandeln, der Bewegung und Wahrnehmung verbindet. Während das Auto sich durch den Raum bewegt, verändert sich der Blick darauf ständig: Farbe, Form und Reflexion verschieben sich je nach Umgebung, Licht und Geschwindigkeit. New Horizon zeigt, wie Kunst Bedeutung gewinnt, wenn sie in der Öffentlichkeit zirkuliert – sichtbar, mobil, im Fluss.
Einen besonderen Stellenwert in seiner Ausstellungsgeschichte nimmt die Einzelausstellung im Kunstforum Wien ein. Sie brachte sein Werk vor ein breites internationales Publikum und zog tausende Menschen an. Entscheidend war dabei weniger der kunsthistorische Rahmen, sondern die unmittelbare Reaktion der Besucher: Viele sahen in den Bildern etwas Vertrautes, aber neu geordnet. Die Ausstellung zeigte, dass Meyers Kunst nicht erklärt werden muss, um zu wirken. Sie erschließt sich im Erkennen, Wiedererkennen und Neu-Verknüpfen.
In den letzten Jahren hat Meyer seine Bildwelt erweitert. Neben den klaren Pop-Symbolen öffnet er den Raum für Momente des Unbestimmten. Surreale Elemente treten hinzu – nicht als Traumwelten, sondern als Verschiebungen innerhalb dessen, was wir zu kennen glauben. Ein Objekt verliert seine feste Kontur, eine Figur scheint gleichzeitig präsent und entrückt, Bildräume überlagern sich. Diese Entwicklung ist keine Abkehr vom Pop, sondern eine Weiterführung: Wenn Symbole ständig zirkulieren, verändern sie sich, lösen sich, erhalten neue Bedeutungen. Die Oberfläche bleibt wichtig, aber sie wird durchlässiger.
Besonders entscheidend ist dabei Meyers Verständnis von Geschichten. Er erzählt keine abgeschlossenen Erzählungen. Seine Bilder sind offene Systeme. Was sie erzählen, entscheidet die betrachtende Person selbst. Jede bringt ihre eigenen Erfahrungen, Wünsche, Ideale und Enttäuschungen mit. So können ein und dasselbe Werk für zwei Menschen völlig unterschiedliche Bedeutungen haben. Genau das interessiert Meyer: dass Bilder nicht universell eindeutig sind, sondern persönliche Spiegelräume. Kunst als Begegnung, nicht als Belehrung.
So entsteht ein Werk, das gleichermaßen zugänglich und komplex ist. Es ist glamourös und kritisch, spielerisch und präzise, nah an der Gegenwart und dennoch offen für Deutung. Es hält uns die Welt vor Augen, die wir selbst erschaffen – und lädt uns ein, sie mit einem sanften Kopfnicken noch einmal neu zu betrachten.