Porträt

„Mein Herz schlägt für den Ton“

Die Bildhauerin Babette Martini

Ton ist ihr Werkstoff, daran gibt es für die Bildhauerin Babette Martini keinen Zweifel. Seit Beginn ihrer künstlerischen Laufbahn spürt sie seinen prozess-
abhängigen Eigenschaften nach und kombiniert ihn mit anderen Materialien, die in der plastischen Gestaltung des menschlichen Körpers traditionell zum Einsatz kommen.

Ateliershooting Atelier fuer Plastische Kunst Dr.Babette Martini

Babette Martini in ihrem Atelier
Foto: Peter Illing

Um das expressive Potenzial von Ton zu ergründen, arbeitet Babette Martini seriell. Eine Gipsform bildet die Grundlage für eine jeweilige Werkgruppe, deren einzelne Arbeiten wie Metamorphosen der Ausgangsform erscheinen. Es ist der Prozess, der die Künstlerin interessiert, es geht ihr nicht darum, möglichst identische Abbilder zu erzeugen. Um zu unterschiedlichen Ergebnissen zu gelangen, gießt sie den Ton mal in die Gipsform, mal kleidet sie diese mit ausgerollten Tonplatten aus. Manchmal befüllt sie die gesamte Form, manchmal lässt sie Teile aus, um diese Auslassungen mit brennbaren Materialien auszufüllen. In jede neue Arbeit fließen die Erfahrungen ein, die sie aus vorherigen Arbeiten gewonnen hat. Bei einigen Objekten arbeitet die Bildhauerin mit schamottfreiem Ton, bei anderen durchsetzt sie ihn mit Materialien, die zerfließen oder beim Brand verglühen und Leerstellen hinterlassen. Mal setzt sie beim Brand Engoben und Oxide ein, dann wieder nutzt sie die materiellen Eigenschaften anderer Techniken, um die Materialität des Tons nach dem Brand zu ergänzen oder zu kontrastieren. Schon nach dem ersten Öffnen der Gussform wirken die Arbeiten entsprechend der verwendeten Materialien und Konsistenzen unterschiedlich, der Brand wird sie wieder verändern. „Einige meiner Arbeiten existieren nur für eine kurze Zeit in einem sogenannten Zwischenzustand, den ich fotografisch festhalte,“ erklärt Babette Martini.

Ihre Faszination für das Material Ton hat Babette Martini schon früh entdeckt. Als sie 1987 nach England ging, um dort Malerei zu studieren, kamen ihre Hände während des „Foundation Course“ zum ersten Mal mit Ton in Berührung und sie wusste sofort: „Das ist es, dafür schlägt mein Herz, das ist mein Material.“ Sie studierte Keramik mit dem Schwerpunkt Bildhauerei und vertiefte ihre Untersuchungen zur Materialität des Mediums Ton bis hin zur Doktorarbeit. Darin ging es ihr unter anderem darum, Ton innerhalb der traditionellen Materialien, die bei der Darstellung der menschlichen Figur verwendet werden, zu positionieren. „Im Gegensatz zu Bronze, Gips oder Wachs, die zum Glätten und Verschließen tendieren, ist Ton ein Material der Fragmentierung.“ Diese Fragmentierung ist ein Aspekt, den Babette Martini am Werkstoff Ton schätzt: Durch sie öffnet sich die Oberfläche, sie wird unvollkommen und verletzlich.

Ateliershooting Atelier fuer Plastische Kunst Dr.Babette Martini

Monotypien, hier mit Linoldruckfarben, stellen für Babette Martini eine Möglichkeit dar, ihre Sujets zweidimensional zu studieren.
© Babette Matrini, Foto: Peter Illing

Babette Martini untersucht in ihrem Werk „emotionale und körperliche Zustände“. Dabei geht es ihr nicht um den gestischen Ausdruck, sondern um einen materiellen. Um den Moment, in dem sich ein Zustand im Material offenbart, in dem er sich als Ergebnis materieller Transformation und des Zusammenspiels von Medium und Prozess aus einer bestimmten Erfahrung heraus formt. Der künstlerische Schaffensprozess „wird als eine körperliche Erfahrung und in Kommunikation mit dem Medium erlebt,“ erklärt sie. „Ton hat keine Struktur. Es ist eine amorphe Masse, ein stark prozessabhängiges Material. Er ist fast animiert und sehr lebendig. Ich stelle Fragen und er gibt Antworten, das wird in der Arbeit mit Ton besonders deutlich.“

Das macht Ton in den Augen der Bildhauerin zum idealen Material, um transformatorische Momente künstlerisch auszuloten. Diese finden sich auch auf der inhaltlichen Ebene wieder. Babette Martini interessiert sich für die Spuren, die der Mensch hinterlässt: für materielle Veränderungen, für das Zusammenwachsen und Auflösen von Formen, für diffuse Zwischenzustände. Kopf und Hand sind für sie Vertreter der menschlichen Interaktion mit der Umwelt. Sie stehen für Denken, Fühlen, Handeln, Kommunizieren und sind immer wiederkehrende Motive in ihren Werken.

Ateliershooting Atelier fuer Plastische Kunst Dr.Babette Martini

Serielle Studie „Now you see me now you don‘t“, Monotypien
© Babette Matrini, Foto: Peter Illing

Derzeit arbeitet die Künstlerin am Thema Gesicht und seiner mimischen Ausdrucksform. Im Gesicht lassen sich zum einen die tiefsten Gefühle eines Menschen ablesen, zum anderen dient es ihm als Maske, mit der er seiner Umwelt begegnet. Während Hals und Kopfform in diesen Arbeiten wie von einer Art Kopfschutzhaube verdeckt werden, liegt deren Fokus allein auf einem Gesichtsausschnitt, der von Wange zu Wange und von der Stirn bis zum Kinn reicht. Vor zwei Jahren wurde die Idee im fotografischen Austausch mit einer Künstlerkollegin geboren und dann von Babette Martini in Zeichnungen, Frottagen und Monotypien zunächst zwei- und dann in ihren Skulpturen dreidimensional vertieft.

Ateliershooting Atelier fuer Plastische Kunst Dr.Babette Martini
Ein Teil des Gesichts wird gegossen. Foto: Peter Illing
Ateliershooting Atelier fuer Plastische Kunst Dr.Babette Martini
Dazu legt Babette Martini zunächst ein feuchtes Stoffstück in die Form. Foto: Peter Illing
Ateliershooting Atelier fuer Plastische Kunst Dr.Babette Martini
Dann baut sie mit festem Ton ein Becken, in das sie anschließend den flüssigen Ton hineingießt. Foto: Peter Illing
Ateliershooting Atelier fuer Plastische Kunst Dr.Babette Martini
Ein fertiger Kopf wird aus der Form befreit und die Nahtstellen, die die Form zurücklässt, anschließend bearbeitet. Foto: Peter Illing
Ateliershooting Atelier fuer Plastische Kunst Dr.Babette Martini
Die Wellpappe wird im Brennofen ausbrennen und die Gesichtszüge entsprechend ihrer Struktur verformen. Foto: Peter Illing
Ateliershooting Atelier fuer Plastische Kunst Dr.Babette Martini
Erst nach dem Brand wird das endgültige Ergebnis sichtbar. Foto: Peter Illing

„Gestalten“, sagt die Bildhauerin, „ist ein Urbedürfnis des Menschen.“ Welche Rolle dabei der Hand zukommt, sei ihr beim Anblick der Handabdrücke und -negative in den prähistorischen Höhlen von Chauvet in Frankreich erst richtig klar geworden, die sie in dem Film „Cave of forgotten dreams“ von Werner Herzog gesehen hatte. Die Hand ermöglicht Manipulation und Transformation, das Werkzeug als Verlängerung der Hand dient dabei als Medium, mit dem Gedanken umgesetzt werden. Serien wie „Erz“, „Handspaten“, „Malocher“ oder „Werkzeuge“ beziehen sich entweder ausschließlich auf die Hand oder das Werkzeug oder aber Hand und Werkzeug gehen in den Arbeiten eine feste Verbindung ein. Riesige Handschuhe und beeindruckende Werkzeuge wie sie vor allem in der Stahlindustrie zum Einsatz kommen, bilden hier die Formvorlagen. Sie erzählen aber auch von der Faszination der gebürtigen Essenerin für die handwerkliche und industrielle Produktion.

In ihrem Atelier im Dortmunder Westen, auf dem stillgelegten Areal eines ehemaligen Hüttenwerks, sind industrieller Niedergang und gesellschaftlicher Umbruch allgegenwärtig. Hier findet Babette Martini ein inspirierendes Umfeld für ihre künstlerischen Untersuchungen zu den wechselseitigen Beziehung von Mensch und Umwelt.

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