Hintergrund

„Zeichnung ist von der Hand geführtes Denken“

Die Linie und ihre Weiterführung im Raum sind das zentrale Thema im Werk der Künstlerin Monika Grzymala. In dreidimensionalen Raumzeichnungen untersucht sie deren physische Qualität und lotet die räumliche Dimension der Linie je nach örtlicher Gegebenheit und anhand unterschiedlicher Materialien aus.

Bei Monika Grzymala betreten Linien den Raum und das Trägermaterial wird zum Bild selbst. Ihre Arbeiten basieren auf einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Medium Zeichnung. Dabei liegt der Fokus auf der Linie, dem einfachsten bildnerischen Element und nach traditionellem Verständnis Grundlage aller bildkünstlerischen Gattungen. Die gebürtige Polin befreit sie aus den eng definierten Fesseln, die ihr die Kunstgeschichte über Jahrhunderte hinweg auferlegt hat, bricht mit den Konventionen und überführt die Linie in temporären Rauminterventionen von der zweidimensionalen Fläche in den dreidimensionalen Raum. „Raumzeichnungen“ nennt sie das. Sie könnte auch von Installationen sprechen, aber als ausgebildete Bildhauerin, die zeichnet, erscheint ihr diese Bezeichnung passend für die spannungsreichen Lineamente, die sich über Wände ziehen, architektonische Elemente in die Arbeit integrieren und den Raum frei durchkreuzen, sodass man sie umgehen, durch- oder unterschreiten muss.

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"Raumzeichnung (der fremde Raum)", 2016, Raumzeichnung in zwei Teilen aus 6,4 km schwarzem Papierklebeband und silbernem Vinyl Klebeband, Gruppenausstellung "Der fremde Raum", Gehry Gallerien Museum Marta, Herford, Deutschland © Monika Grzymala
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"Raumzeichnung (der fremde Raum)", 2016, Raumzeichnung in zwei Teilen aus 6,4 km schwarzem Papierklebeband und silbernem Vinyl Klebeband, Gruppenausstellung "Der fremde Raum", Gehry Gallerien Museum Marta, Herford, Deutschland © Monika Grzymala
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"Raumzeichnung (der fremde Raum)", 2016, Raumzeichnung in zwei Teilen aus 6,4 km schwarzem Papierklebeband und silbernem Vinyl Klebeband, Gruppenausstellung "Der fremde Raum", Gehry Gallerien Museum Marta, Herford, Deutschland © Monika Grzymala
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"Raumzeichnung (der fremde Raum)", 2016, Raumzeichnung in zwei Teilen aus 6,4 km schwarzem Papierklebeband und silbernem Vinyl Klebeband, Gruppenausstellung "Der fremde Raum", Gehry Gallerien Museum Marta, Herford, Deutschland © Monika Grzymala
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"Raumzeichnung (der fremde Raum)", 2016, Raumzeichnung in zwei Teilen aus 6,4 km schwarzem Papierklebeband und silbernem Vinyl Klebeband, Gruppenausstellung "Der fremde Raum", Gehry Gallerien Museum Marta, Herford, Deutschland © Monika Grzymala
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"Raumzeichnung (der fremde Raum)", 2016, Raumzeichnung in zwei Teilen aus 6,4 km schwarzem Papierklebeband und silbernem Vinyl Klebeband, Gruppenausstellung "Der fremde Raum", Gehry Gallerien Museum Marta, Herford, Deutschland © Monika Grzymala
© Monika Grzymala
"Raumzeichnung (der fremde Raum)", 2016, Raumzeichnung in zwei Teilen aus 6,4 km schwarzem Papierklebeband und silbernem Vinyl Klebeband, Gruppenausstellung "Der fremde Raum", Gehry Gallerien Museum Marta, Herford, Deutschland © Monika Grzymala

Ausgebildet zur Steinbildhauerin hat Monika Grzymala gelernt, dass sie die Welt über das Ertasten erfährt. Und sie hat erfahren, dass jeder künstlerische Prozess nicht darauf basiert, dem Material eine Idee aufzuzwingen, sondern ganz aufmerksam zu sein und sich zu fragen: Was ist das Wesen eines Materials? Wie kann man es benutzen? Dass sie diese Kenntnisse heute in ihren abstrakten Variationen anwenden kann, verdankt sie dem Bildhauer Bogomir Ecker, bei dem sie ihr Studium der Bildhauerei in Hamburg absolvierte und der ihr zu einer neuen Formensprache jenseits gegenständlicher Darstellungen riet. Ihr „Erweckungserlebnis“, wie sie selbst es umschreibt, erlebte die Künstlerin, als sie auf der Suche nach einem neuen Vokabular begann, mit der Linie zu experimentieren. Damals sprengte sie die Grenzen des Skizzenbuchs erstmals und setzte ihre linearen Überlegungen auf der Wand ihres Ateliers fort. Seitdem hat die Linie sie nicht mehr losgelassen, und ist deren räumliche Dimension in den Mittelpunkt der künstlerischen Untersuchungen von Monika Grzymala getreten.

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"Raumzeichnung (fusion) RMX", 2017, Raumzeichnung aus 4,4 km schwarzem Papierklebeband und transparentem PP Klebeband, Präsentation mit Eduardo Secci Contemporary Arte Fiera di Bologna, Bologna, Italien
© Monika Grzymala

Heute entwickelt die Künstlerin ihre hybrid zwischen Linie und Skulptur angesiedelten Gebilde häufig aus mehreren Kilometern Klebeband unterschiedlicher Textur und Farbigkeit, das zum Teil speziell für sie hergestellt wird. Mal transparent vibrierend, mal schwarz-opak oder metallisch glänzend durchziehen Klebestreifen aus Papier, Kunststoff- oder Metallfolie den Raum, ver- und umwinden sich die Linien. Bewegung und Ruhe, Massivität und Zerbrechlichkeit werden spürbar, wenn dynamische Linien einen energiegeladenen Moment sichtbar machen, indem sie sich entweder explosionsartig aus der Fläche befreien oder in sie einzudringen versuchen.

Diese „Linie von der Rolle“ ermöglicht es Monika Grzymala, mit einer Arbeit in spe an einen entfernten Ort zu reisen und dort „die Raumzeichnungen zu entwickeln, sie dann in sich zu verwickeln und schließlich abzuwickeln“, wie sie es selbst umschreibt. Die Länge des verbrauchten Klebebands wird dann genau notiert. Die Kilometerangabe tritt als feste Größe bei den Angaben zu einem Kunstwerk in Erscheinung und fungiert als narratives Element: Wie bei einem Langstreckenlauf legt sie Zeugnis ab über die Anstrengungen, die die Künstlerin beim Aufbau einer Arbeit unternommen hat, und lässt im Betrachter eine Vorstellung von der Distanz erlebbar werden, die die Linien im Landschaftsraum einnähmen, wären sie als gerade Luftlinie darin ausgelegt worden.

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"Raumzeichnung (Flirren)", 2017, Raumzeichnung aus 0,2 km matt schwarzem Papierklebeband, Einzelausstellung "Drawing Spatially – Raumzeichnung", BERG Contemporary, Reykjavik, Island © Monika Grzymala
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"Raumzeichnung (Berg)", 2017, Raumzeichnung aus 9,2 km silbernem PP Klebeband, Einzelausstellung "Drawing Spatially – Raumzeichnung", BERG Contemporary, Reykjavik, Island © Monika Grzymala
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"Raumzeichnung (Berg)", 2017, Raumzeichnung aus 9,2 km silbernem PP Klebeband, Einzelausstellung "Drawing Spatially – Raumzeichnung", BERG Contemporary, Reykjavik, Island © Monika Grzymala
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Einzelausstellung "Drawing Spatially – Raumzeichnung", BERG Contemporary, Reykjavik, Island © Monika Grzymala
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Einzelausstellung "Drawing Spatially – Raumzeichnung", BERG Contemporary, Reykjavik, Island © Monika Grzymala

Für ihre Lineamente arbeitet Monika Grzymala aber auch mit einer leichten, lufthärtenden Modelliermasse von porzellanartiger Struktur, um mittels handgeformter Linien skelett- oder gerüstartige Konstruktionen entstehen zu lassen. Oder sie bringt lineare Objekte, die sie in Landschaft und Natur vorfindet, in ihre Arbeiten ein. Einen weiteren wichtigen Strang im Werk der Künstlerin bilden ihre Arbeiten mit handgeschöpftem Papier, die sie als eine logische Weiterentwicklung ihrer Raumzeichnungen versteht. In diesen monochromweiß gehaltenen Reliefzeichnungen formuliert die Künslterin die Bedeutung von Bild und Bildträger neu: Das klassische Trägermaterial der Zeichnung, das Papier, wird hier selbst zur Linienzeichnung.

Monika Grzymala bezeichnet den Schaffensprozess, der ihren Arbeiten zugrunde liegt, als „von der Hand geführtes Denken“. Dazu gehört auch die Vorbereitung, die in ihrem „Denkraum“ in Berlin erfolgt. Hier fertigt sie Skizzen und Modelle an, mit denen sie sich auf die Arbeit vor Ort einstellt, sich auf die lokalen Besonderheiten einlässt und Überlegungen zum Material anstellt, das sie verwenden möchte. Auch die Dokumentation von Auf- und Abbau ihrer ephemeren Werke erfolgt hier. Wir haben Monika Grzymala in ihrem Berliner Atelier besucht.

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Profile

Monika Grzymala (1970 in Zabrze, Polen) studierte im Anschluss an ihre Ausbildung zur Steinbildhauerin und Restauratorin seit 1994 Freie Kunst und Bildhauerei an den Kunsthochschulen in Karlsruhe, Kassel und Hamburg. 2001 erhielt sie das Diplom an der HfbK in Hamburg. Seither sind etwa 80 zwei- und dreidimensionale Raumzeichnungen entstanden, u.a. für das Museum of Modern Art in New York, das Tokyo Art Museum, 18. Sydney Biennale, die Hamburger Kunsthalle, Reykjavik Art Museum und die Albertina in Wien. 2014 hat Monika Grzymala auf dem Dach der Woodner Company in New York mit ihrer auf mehrere Jahre angelegten Installation „Tree of Life“ begonnen, ein Gartenprojekt und Skulpturen für die Dian Woodner Collection. Für ihre Arbeit wurde Monika Grzymala mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet, u.a. 2012 mit dem boesner art award. 2012-2013 war sie als Gastprofessorin an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig tätig sowie 2013-2014 an der Universität für angewandte Kunst Wien. Monika Grzymala lebt und arbeitet in Berlin.

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